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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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vollenden«, sagte Van Leeuwen.
    »Man kann die Fore daher mit seltenen Orchideen vergleichen«, nahm Pieters den Faden wieder auf, »die nur an einem Ort und unter bestimmten Bedingungen gedeihen und überleben können. Die Begegnung mit unserer modernen Zivilisation bedeutet ihr sicheres Ende. Obwohl ich das schnell begriff, wusste der Arzt in mir, dass wir ihre Krankheiten nicht heilen konnten, ihre Wunden nicht behandeln und ihre sterbenden Kinder nicht retten, ohne dass wir unsere Welt mit in ihre Abgeschiedenheit brachten. Und als Anthropologe zweifelte ich nicht daran, dass sie sich bald wünschen würden, diese Welt zu sehen und kennen zu lernen; dass esdann kein Zurück mehr gab. Eine verdammte Zwickmühle, das können Sie mir glauben. Verstehen Sie mich richtig, es war keine Idylle, in der sie lebten. Ihre Existenz war bestimmt von Aberglauben, Angst, Hunger, Krieg, Mord und Seuchen, aber auch erfüllt von Weisheit, Liebe und einzigartiger Schönheit.« Er hielt plötzlich inne. »Entschuldigen Sie, das alles ist für Sie wahrscheinlich völlig unverständlich.«
    »Wenn mir etwas unverständlich ist, frage ich«, sagte Van Leeuwen. »Sie wollten mir etwas über Kuru erzählen.«
    »Natürlich, Kuru«, erwiderte Pieters. »Als ich in Kainantu eintraf, gab es dort zwei alte Frauen, die davon befallen waren. Sie hatten bereits das Stadium erreicht, in dem sie nicht mehr gehen konnten. Sind Ihnen die Symptome von Creutzfeldt-Jakob ein Begriff ?«
    Der Commissaris sagte: »Ich kenne nur die torkelnden Kühe, die irgendwann zuckend am Boden liegen und nicht mehr aufstehen können.«
    »Das ist B S E – Rinderwahnsinn«, erklärte Pieters, »verwandt, aber nicht identisch.« Er stand auf, trat an ein Bücherregal und zog ein Buch heraus. »Das erste bekannte Opfer von CJ D in Europa hieß Bertha Elschker, ein Dienstmädchen in einem Kloster in Breslau.« Er schlug das Buch auf, blätterte ein paar Seiten hin und her, dann las er vor: »Im Juni 1913 erlitt Bertha Elschker einen Zusammenbruch. Man brachte sie in die dortige Universitätsklinik, die von dem berühmten Neurologen Alois Alzheimer geleitet wurde. Einer von Alzheimers Assistenten, ein junger Arzt namens Hans-Gerhard Creutzfeldt, hielt die Krankengeschichte der dreiundzwanzigjährigen Waise fest. Etwa einen Monat zuvor hatte sich ihr bis dahin freundliches Wesen ganz plötzlich verändert. >Sie wollte auf einmal weder essen noch baden‹, notierte Creutzfeldt. >Sie achtete nicht mehr auf ihr Äußeres, wurde schmutzig und nahm seltsame Körperhaltungen ein‹. Drei Tage, bevor er sie zu sehen bekam, >schrie sie plötzlich, ihre Schwester sei tot, es sei ihre Schuld, sie sei vom Teufel besessen und wolle sich opfern‹.«
    »>Diese Veränderungen hätten erste Anzeichen einer Geisteskrankheit sein können‹«, las Pieters weiter vor, wobei er das Buchdicht unter den grünen Glasschirm der Schreibtischlampe hielt, »aber Berthas verwirrter Gesichtsausdruck, ihr albernes Kichern, das Augenzwinkern und der unsichere Gang zeigten nach Creutzfeldts Ansicht ganz eindeutig, dass sie an einer schweren körperlichen Schädigung des Gehirns litt. Der junge deutsche Arzt untersuchte die ausgemergelte Frau und stellte bebende Gesichtsmuskeln, unkontrollierte Zuckungen der Arme, anomale Reflexe, eine verzerrte Sprache und unmotivierte Ausbrüche von Gelächter fest. Ihr körperlicher Zustand verschlechterte sich zusehends. Mehrere Tage lang schrie sie ununterbrochen, und an anderen Tagen verharrte sie in völliger Starre. Ihre letzten Tage beschreibt er so: >Am 6. August findet ein epileptischer Anfall statt, gegen Abend ein zweiter Anfall. An den folgenden Tagen liegt die Patientin zuckend da. Während der letzten Stunden nimmt der Stupor zu, das Schluckvermögen ist beeinträchtigt. Der Tod tritt am 11. August im Status epilepticus ein.‹ Nachdem Bertha gestorben war, nahm Creutzfeldt eine Obduktion vor und untersuchte ihr Gehirn. Dort stieß er auf umfangreiche Schäden, fand aber keine Entzündung. Irgendetwas hatte Millionen Gehirnzellen absterben lassen.«
    Pieters klappte das Buch zu und stellte es an seinen Platz im Regal zurück. »Etwa zur gleichen Zeit stellte ein Kollege von Creutzfeldt, Doktor Alfred Jakob in Hamburg, bei einigen seiner Patienten ähnliche Symptome fest und kam zu dem gleichen Obduktionsbefund.« Er runzelte die Stirn. »Auch die beiden Fore-Frauen zitterten unkontrolliert, ihre Arme und Beine wurden von ständigen Zuckungen

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