Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
geschüttelt. Soweit ich das beurteilen konnte, waren sie bei klarem Verstand, aber wenn sie zu sprechen versuchten, klang es wie das Lallen eines Betrunkenen. Immer wieder verzogen sie die Gesichter zu einem sinnlosen Grinsen, das der Beamte des Gesundheitsdienstes in seinem Bericht als >pathologisches Lachen‹ bezeichnet hatte. Als die Presse in Sidney diesen Bericht in die Finger bekam – dieser Teil Neuguineas stand unter australischer Verwaltung –, hatten die Sensationsjournalisten ihren großen Tag. Ab da hieß Kuru in der westlichen Welt Der lachende Tod. «
»Der lachende Tod ...«
»Die Symptome bei Kuru waren die gleichen wie bei den Verfallskrankheiten des Gehirns, die wir in den westlichen Industrieländern kennen – Parkinson, Alzheimer, multiple Sklerose, CJ D, aber keine davon verbreitet sich epidemieartig. Es konnte also sein, dass eine Krankheit, die bei uns erst seit knapp hundert Jahren bekannt ist, dort parallel, aber schon viel früher aufgetreten war. Und – noch faszinierender – die Pidgin-Diagnose der Einheimischen war mindestens ebenso präzise wie unsere moderne medizinische Beurteilung.«
»Was meinen Sie mit Pidgin-Diagnose ?«, fragte Van Leeuwen.
»Pidgin ist die Umgangssprache in Neuguinea«, erklärte Pieters, »ein Eintopf aus Englisch, Deutsch, Spanisch, mit ein paar Eingeborenenwörtern als Würze. Am Anfang haben unsere Assistenten, die dokta bois , für uns gedolmetscht, aber ich brauchte nicht lange, um Fore zu lernen. Die Medizinmänner des Stamms teilten Kuru in fünf Stadien ein: kuru laik i-kamap mau , lautmalerisch nach dem englischen kuru like he come up now , was nichts anderes heißen soll als ›Kuru fängt jetzt an‹. Die nächste Phase hieß wok-about yet – Englisch: walkabout yet – ›Kann noch gehen‹. Dann kam sindaun pinis – Englisch: sit down finish – für ›Kann nicht mehr gehen‹, gefolgt von slip pinis – sleep finish : ›Erstarrung‹. Das letzte Stadium nannten sie klostu dai nau – das brauche ich wohl nicht zu übersetzen.«
» Close to die now «, sagte der Commissaris, inzwischen widerstandslos in die Tiefen des abgenutzten Sessels gesunken. »›Auf der Schwelle des Todes‹. Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit dem ermordeten Jungen im Vondelpark zu tun hat.«
Pieters sagte: »Die beiden Frauen waren nicht die einzigen Kuru-Opfer, die ich in Kainantu zu sehen bekam. Ein paar Tage später brachte man einen siebenjährigen Jungen, der ganz offensichtlich dem Tode nahe war. Er konnte nicht mehr gehen; wenn er sprach, war es unmöglich, ihn zu verstehen; und da er nicht mehr imstande war aufzustehen, erleichterte er sich da, wo er gerade saß oder lag, obwohl er weder an Inkontinenz noch an Durchfall litt. Natürlich musste er gefüttert werden, denn er war mittlerweile auch unfähig, das Essen selbst zum Mund zu führen. Sein Tod war grausam – erkonnte nicht mehr schlucken, sodass er gleichzeitig verhungert und verdurstet wäre, hätte ihn nicht vorher eine Lungenentzündung dahingerafft. Er starb mit sieben Jahren, obwohl er – wie alle, die ihn kannten, übereinstimmend berichteten – noch drei Monate vorher laufen, spielen und fröhlich lachen konnte wie jedes andere Kind.«
Pieters schwieg, und Van Leeuwen dachte, dass er ihn jetzt nach den Drogen fragen sollte, damit er ihn von der Liste streichen konnte. Aber der Professor war noch nicht fertig.
»Es war erstaunlich«, sagte er, »wirklich erstaunlich – eine klassisch fortschreitende Alterskrankheit, die sich aber auf Frauen und junge Männer vor der Pubertät zu beschränken schien. Ich nahm mir ein paar bois, um die Nachbardörfer zu besuchen. Dort fand ich ganze Gruppen rein äußerlich gesunder junger Steinzeitmenschen, die zitternd und zuckend herumtorkelten, ein hysterisches Grinsen im Gesicht. Das war ein Anblick, den man erst mal verdauen musste.«
Der Commissaris stellte sich diesen Anblick vor und dachte, dass es ihm wahrscheinlich ganz gut gelang, denn das Bild vor seinem inneren Auge sah aus, als wäre es von Goya gezeichnet worden: die verrenkten dunklen Gestalten, der Wahnsinn in ihren verzerrten Gesichtern, das irre Grinsen.
Pieters sagte: »Doktor Ahern in Port Moresby, mit dem ich über Funk Kontakt hielt, vermutete, die Krankheit würde durch einen Erreger verursacht und übertragen. Aber eine Virusinfektion verursacht eine Entzündung und Fieber, weil das Immunsystem eine Abwehrreaktion in Gang setzt. Nichts davon bei den
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