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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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zwischen den beiden rätselhaften Gehirnkrankheiten ? War es die Art, wie sie übertragen wurden ? Bei CJ D gibt es verschiedene Wege, zum Beispiel durch menschliches Gewebe, etwa bei der Verpflanzung von Haut, Knochen, Knochenmark, Blutgefäßen, Nerven, Hirnhaut oder ganzen Organen. Bloß dass die Fore noch nie von Transplantationen gehört hatten. Und wenn sie in den Krieggegen einen Nachbarstamm zogen, kämpften sie zwar mit Keulen, Speeren, Steinäxten oder Pfeil und Bogen, aber eine Ansteckung am offenen Wundgewebe eines Feindes konnte ebenfalls ausgeschlossen werden.«
    Pieters schwieg erneut und summte die Melodie, ein paar Takte nur, die sich, gerade wenn er glaubte, sie wiedererkannt zu haben, Van Leeuwen beharrlich entzogen. Stattdessen sah er die Kämpfer der Fore – halb nackt, mit Kriegsbemalung –, wie sie sich mit Keulen und Äxten auf ihre Feinde stürzten, ihnen klaffende Wunden zufügten. Eine weitere Goya-Zeichnung, dachte er, mit kühnen, zornigen Federstrichen ausgeführt. Schwarz-weiß und von beklemmender Grausamkeit. Dann dachte er noch einmal, schwarz- weiß und von beklemmender Grausamkeit , und plötzlich spürte er, dass er der Lösung seines Falls auf der Spur war.
    So fing es immer an, mit einer Intuition. Irgendwo in diesem Bild versteckte sich der Hinweis auf das, was er suchte. »Sie hatten doch bestimmt einen Verdacht«, sagte er, »oder eine Vermutung, wie Kuru übertragen wurde.«
    »Ja«, antwortete der Arzt nach einer langen Pause. »Am Anfang war es eher eine Intuition.«
    »Die sich dann bewahrheitet hat.«
    »Sonst wäre es ja keine Intuition gewesen«, bestätigte Pieters. »Die Idee der Intuition setzt voraus, dass man auf die Wahrheit stößt, wenn man einen Weg findet, aus Löchern eine Brücke zum Ziel zu bauen.« Der Commissaris konnte das Gesicht des Arztes nicht mehr erkennen; es war nur noch ein Schattenriss vor dem zugewachsenen Fenster. »Aber wenn ich es Ihnen sage, werden Sie mir wahrscheinlich nicht glauben. Ich habe nur mit sehr wenigen Menschen darüber gesprochen, und selbst von denen hat mir kaum einer geglaubt.«
    Van Leeuwen sagte nichts.
    »Für einen Anthropologen war es eine sensationelle Entdeckung«, erklärte Pieters, »aber für die meisten Menschen war es so unvorstellbar, dass ihr Verstand sich weigerte, es zu begreifen.«
    Van Leeuwen wartete.
    Pieters sagte: »Sie dürfen nicht vergessen, ich befand mich in einem der abgelegensten, erst kürzlich erschlossenen Gebiete Neuguineas, im unzugänglichen Hochland, wo die Einheimischen noch immer mit Speeren und Äxten aufeinander losgingen und wo Religion oder Moral, wie wir sie verstehen, unbekannt waren.«
    Van Leeuwen schwieg und wartete.
    Pieters sagte: »An einem der letzten Abende meines ersten Aufenthalts bei den Fore haben sie vor meinen Augen den Körper einer an Kuru gestorbenen Frau gekocht und ihren Kindern zu essen gegeben. Es handelte sich, wie ich erfuhr, um den üblichen Bestattungsritus.«
    Es wurde kühl in Pieters’ Büro; auch die Wände waren jetzt zugewachsen mit Schatten. Eine Uhr tickte hinter den Bücherstapeln, aber die Zeit stand still. Das Mobiltelefon in Van Leeuwens Brusttasche vibrierte. Er meldete sich. Er hörte zu, dann sagte er: »Danke, ich bin gleich da.« Er unterbrach die Verbindung. »Ich muss gehen«, sagte er.

 23 
    Die Straße hinter dem Eisenbahnviadukt war mit Holzböcken abgesperrt. An den Böcken hingen orangefarbene Warnleuchten. Dazwischen flatterten fluoreszierende Zellophanbänder mit der Aufschrift Politie im Wind. Streifenwagen blockierten die Fahrbahn, ihr zuckendes Blaulicht spiegelte sich auf dem nassen Asphalt. Ein Krankentransporter mit offenen Hecktüren sah aus wie ein weißes Fenster in der Nacht.
    Der Commissaris ging auf das Licht zu.
    Ein Scheinwerferfahrzeug der Spurensicherung leuchtete den Kanal aus. Die Hochdrucklampen schufen einen grünen Trichter im trüben Wasser. Schwarzer Glanz lag auf den öligen Wellen. Ein leichter Kran der Wasserpolizei dümpelte über dem grünen Trichter.
    Der Commissaris ging auf das Licht zu, und wie immer fürchteteer sich vor dem, was er gleich zu sehen bekam, denn ein Leichenfundort in der Nacht war anders als am Tag. Er war aufregender, beunruhigender. Es gab keinen Schatten, das künstliche Licht drang in jede Ecke wie Quecksilber. Es überzog alle Oberflächen, aber es war ohne Wärme. Die Beamten, die den Ort sicherten, wirkten kleiner und verlorener, wenn sie sich um die Leiche

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