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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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sich bei meinem Vorgesetzten nach dem Mordfall erkundigt haben, in dem ich ermittle.«
    »Sie selbst hatten mir doch davon erzählt«, sagte Pieters. »Unser Gespräch hat mich den ganzen Tag nicht mehr losgelassen. Ich wollte, soweit möglich, Einzelheiten wissen. Als ich dann bei der Polizei anrief, habe ich extra nach Ihnen verlangt, aber man sagte mir, Sie seien verreist. Sind Sie deswegen aufgebracht ?«
    »Nein.« Van Leeuwen rutschte zur anderen Seite und wechselte die Stellung der Beine. »Ich habe mich nur gefragt, was für ein Interesse ein Spezialist für Creutzfeldt-Jakob an einem ermordeten Jungen im Vondelpark haben könnte.«
    »Es war das, was Sie über das Gehirn des Jungen gesagt haben«, erklärte Pieters. »Es hat mich an etwas erinnert, deswegen war ich neugierig.«
    »Woran hat es Sie erinnert ?«
    »Das ist eine sehr lange Geschichte.«
    »Ich habe sehr viel Zeit.«
    Pieters glitt von der Schreibtischkante und setzte sich auf zwei fast gleich hohe Stapel gelber National-Geographic -Hefte. »Ich war nicht immer Neuropathologe«, sagte er. »Angefangen habe ich als Kinderarzt, aber mit der Zeit entdeckte ich in mir einen leidenschaftlichen Hang zur Anthropologie, und noch später begann ich mich auch für Virologie zu interessieren. Vor ein paar Jahren machte ich auf dem Rückweg von Forschungsarbeiten im australischen Busch Station in Neuguinea, um mich einige Monate lang mit Wachstum und Entwicklung von Kleinkindern in primitiven Kulturen zu befassen.«
    Als der Commissaris Neuguinea hörte, beugte er sich vor, spürte aber sofort, wie die Schwerkraft ihn wieder nach hinten zog.
    Pieters fuhr fort: »In Port Moresby gab es einen australischen Arzt, Will Ahern, der den dortigen Gesundheitsdienst leitete. Als ich mich ihm vorstellte, bekundete er außerordentliche Freude über meine Anwesenheit, denn einer seiner Beamten hatte ihm von einer seltsamen tödlichen Krankheit berichtet, die im östlichen Hochland der Insel grassierte. Zum ersten Mal aufgetreten war sie in einer abgelegenen Siedlung mit Namen Kainantu, und zwar unter Angehörigen des Stamms der Fore. Die Fore nannten diese Krankheit Kuru und glaubten, sie sei durch Hexerei entstanden. Der Beamte des Gesundheitsdienstes dagegen hielt es für eine bisher unbekannte Gehirnentzündung. Kann ich Ihnen wirklich nichts anbieten ?«
    »Nein, wirklich nicht.«
    Pieters nickte knapp, ein Asket, der eine verwandte Seele erkannte. »Die Fore, müssen Sie wissen, sind eine der letzten steinzeitlichen Kulturen. Sie waren wie geschaffen für meine Forschungen. Ich verlor keine Zeit, nahm mir ein paar bois , das sind einheimische Träger, und reiste sofort nach Kainantu, besser gesagt, wir schlugen uns dorthin durch. Wir bahnten uns unseren Weg durch dichte Regenwälder, wateten durch knietiefen Morast und schleppten uns bei glühender Hitze schroffe Berghänge hinauf. Aber welche Mühen es auch kostete, wir wurden überreich belohnt. Alles, was ich als Mensch und Wissenschaftler erlebt und erreicht habe, jeder Erfolg, jede Auszeichnung, ist bedeutungslos im Vergleich zu den Erfahrungen,die ich bei den Fore machen durfte. Es sind die letzten Exemplare des Menschen in seinem Urzustand, und dass sie vom Aussterben bedroht sind, nein, dass sie mit Gewissheit bald aussterben werden, hat die Begegnung mit ihnen so unendlich kostbar gemacht.«
    »Ich weiß nicht ganz, was ich mir darunter vorstellen soll«, sagte Van Leeuwen, »unter dem Menschen in seinem Urzustand.«
    Pieters hielt inne. »Können Sie mit dem Begriff >Hominide‹ etwas anfangen ?«
    »Eine Vorstufe des Menschen in der Evolution«, sagte Van Leeuwen.
    »Ein aufrecht gehender Primat«, bestätigte Pieters. »Mein Kollege Johanson bezeichnet ihn entweder als ausgestorbenen Vorfahren des Menschen, einen nahen Verwandten des Menschen oder einen richtigen Menschen. Alle Menschen sind Hominiden, aber nicht alle Hominiden sind Menschen. Der religiösen Definition nach ist ein Mensch ein Wesen mit einer Seele, wie Sie vermutlich wissen. Die Anthropologie dagegen hat bisher noch keine Definition gefunden, zumindest keine, die eindeutige Aussagen zulässt, wie etwa >Das ist ein Mensch‹ oder >Das ist noch kein Mensch‹. Das Gehirn und seine Größe werden wohl immer die Kriterien sein, die zur Abgrenzung herangezogen werden – ausgerechnet das Gehirn, das uns in die Lage versetzt hat, alle evolutionären Anstrengungen mit einem einzigen Knopfdruck ein für alle Mal zu beenden.«
    »Oder zu

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