Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
scharten.
Bei Nacht sah der Körper aus, als wäre er schon immer ohne Leben gewesen. Außer wenn er, wie jetzt, gerade aus dem Wasser gezogen wurde. Dann sah es aus wie eine Geburt; als würde eine Leiche geboren.
Ein Agent der Schutzpolizei trat dem Commissaris in den Weg, erkannte ihn und ließ ihn passieren. »Guten Abend, Mijnheer.« Van Leeuwen ging durch das schattenlose Licht zum Hafenbecken, wo Hoofdinspecteur Gallo und Inspecteur Vreeling die Taucher bei ihrer Arbeit als Geburtshelfer beobachteten. »Ist es Deniz ?«, fragte er.
Gallo sagte: »Auf alle Fälle ist es ein Junge.«
»Wer hat ihn gefunden ?«
»Der Skipper einer Motoryacht«, antwortete der Hoofdinspecteur. »Er saß auf Deck, mit seiner Frau, und als es kühl wurde, hat sie sich umgezogen. Dabei ist ihr Bikinioberteil ins Wasser gefallen. Er holt einen Kanthaken, sie hält die Stablampe, um ihm zu leuchten, und sie entdecken den Bikini und darunter eine Leiche. Die Fische hatten da schon das meiste von seinem Gesicht –«
»Aber es ist nicht sicher, dass es sich um Deniz handelt ?«, unterbrach Van Leeuwen ihn.
»Nein, sicher ist nur, dass die Frau des Skippers den Schreck ihres Lebens gekriegt hat, und dass ihrem Mann nicht nur die Yacht gehört, sondern auch ein Verlag und ein paar Zeitungen. Schmierblätter. Rate mal, welche.«
»Das heißt, gleich wimmelt es hier von Reportern, und auf den Hoofdcommissaris müssen wir auch nicht mehr lange warten«, warf Inspecteur Vreeling ein. Dann deutete er auf den grünen Trichter im Wasser. »Da kommt unser Frühchen.«
Zwei Taucher hievten einen schmalen Körper an die Oberfläche.
Im weißen Licht der Scheinwerfer schimmerte der tote Junge wie Elfenbein. Wasser strömte in glitzernden Fäden aus den Ohren, den Augen und dem klaffenden Loch unter dem Gaumen. Es war kein Blut zu sehen, denn es gab im ganzen Gesicht kein Fleisch mehr, das bluten konnte.
»Scheiße«, murmelte Gallo.
Van Leeuwen spürte, wie sich die Haut auf seinem Rücken zusammenzog. Plötzlich war ihm eiskalt, als würde ihm auf einen Schlag alle Körperwärme entzogen. Die Taucher schwammen mit dem Toten zur Kanalmauer, wo die Sanitäter eine Trage zu ihnen hinunterließen. Die Taucher legten den Jungen auf die Trage. Er war nackt, und seine Beine baumelten wie die einer Marionette, als hätte er keine Knochen.
»Wo ist sein Schwanz ?«, fragte Vreeling. »Ich seh seinen Schwanz nicht.«
»Vielleicht hatte er keinen«, sagte Gallo.
»Wo sind seine Kleider ?«, fragte Van Leeuwen. »Kleider hatte er doch, oder ?«
»Da unten im Kanal hatte er sie jedenfalls nicht an«, erklärte Vreeling, nachdem er Rücksprache mit den Tauchern gehalten hatte.
Selbst auf die Entfernung konnte der Commissaris die Einstichstellen an den dünnen Armen des Jungen sehen, schwärzlich in der bleichen Haut. Das hätte nicht sein müssen, dachte er; das alles hätte nicht sein müssen. »Was ist mit seinen Beinen los ? Es sieht aus, als wären sie gebrochen.«
»Seine Füße waren festgeklemmt«, sagte Gallo. »Vielleicht hat er versucht, sich zu befreien, sie herauszuziehen, und hat sich dabei die Beine gebrochen.«
»Das würde bedeuten, dass er noch am Leben war, als er ins Wasser geworfen wurde«, sagte Van Leeuwen. »Wie viele Leute kennst du, die ohne Gehirn leben können ?«
»Nur in Amsterdam ?«, fragte Gallo.
»Lass mir eine Kopie vom Bericht des Pathologen zukommen«, sagte Van Leeuwen. »Und sorg dafür, dass die Gegend hier Millimeter für Millimeter abgesucht wird, jede Mülltonne, jeder Container,jede Ecke, jede Toreinfahrt. Er ist zwar nackt auf die Welt gekommen, aber nicht ohne Kleider seinem Mörder in die Hände gelaufen. Alle Gullydeckel müssen überprüft werden und auch der Bereich unten im Gully. Die Taucher sollen den gesamten Kanal –«
»Wie hat man bloß die Mörder gefasst, bevor du den Polizeidienst angetreten hast«, sagte Gallo. »Soll ich auch noch nach Zeugen suchen lassen, die den Jungen oder den Mörder oder die Tat selbst beobachtet haben könnten ?«
»Entschuldige«, sagte Van Leeuwen. »Das ganze Adrenalin ... Aber vielleicht hat er diesmal seine Waffe hinterher weggeworfen. Es könnte ein Knüppel sein, vielleicht auch eine Keule oder sogar eine Axt. Vorausgesetzt natürlich, Deniz wurde hier angegriffen und der Mörder musste ihn niederschlagen. Vielleicht findet ihr Blut – Deniz hat sich möglicherweise gewehrt und ihm im Todeskampf eine Verletzung zugefügt ...«
»Glaubst du, er war
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