Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
tut mir leid.
Und noch ein Gedanke: Sie war wieder glücklich gewesen, wenn auch vielleicht nur für Momente.
Vorher war sie mit ihm glücklich gewesen, erst in Nes, dannin seiner kleinen Wohnung in Amsterdam. Sie hatten ihre Liebe gehabt und mitgenommen in die größere Wohnung an der Egelantiersgracht. Dort hatte sich ihr Leben verändert, aber die Liebe war geblieben. Simone hatte angefangen zu schreiben, erste Artikel, die sie bald schon verkaufen konnte. Eine Zeit lang hatte sie als freie Journalistin gearbeitet, um etwas zu tun zu haben, während er seiner Tätigkeit als Polizist nachgegangen war.
Sie war erfolgreich gewesen, und oft hatte er, wenn er abends nach Hause kam, die Wohnung voller fremder Menschen vorgefunden, andere Journalisten, Künstler, Maler, Schriftsteller, Filmemacher. Und andere Frauen, modern und gebildet, die schnell redeten, leidenschaftlich über Literatur, Politik, Sport und moderne Kunst diskutierten. Es hatte ihn nicht gestört, dass sie da waren, obwohl er manchmal wünschte, sie wären es nicht.
Er war nie auf den Gedanken gekommen, dass er vielleicht sie störte. Das meiste, worüber sie redeten, interessierte ihn nicht; es hatte nichts mit seinem Leben zu tun. Er redete, wenn er gefragt wurde. Von sich aus sagte er selten etwas, dazu verstand er zu wenig von dem, was Simones Freunden wichtig erschien. Danach, wenn alle fort waren, hatten sie zusammen ein letztes Glas getrunken, nebeneinander auf dem Sofa, die siamesischen Zwillinge.
Oft war er schon ins Bett gegangen, wenn Simones Gäste im Wohnzimmer noch heftig debattierten. Irgendwann in der Nacht hatte sie sich dann zu ihm gelegt, ihn geweckt, ihn geliebt. Und noch später hatte sie ihn nicht mehr geweckt, und er war meistens zu müde, um es überhaupt zu bemerken. Vermutlich waren sie da schon nicht mehr glücklich gewesen, aber geliebt hatten sie sich immer noch.
Glück wurde einem geschenkt, wie die Liebe, aber dem Streben danach misstraute er. Es gab zu viele Menschen, die glaubten, für ihren Anspruch auf Glück stehlen, betrügen und morden zu dürfen. Trotzdem hatte er Verständnis für jeden, der glücklich sein wollte; der es wenigstens versuchte. Ein Fremder namens Sandro hatte seine Frau glücklich gemacht, zu einer Zeit, in der er selbst dazu nicht fähig gewesen war. Vielleicht sollte er ihm dankbar sein.
Andererseits, vielleicht auch nicht.
Jedenfalls tat es ihm leid, besonders jetzt, wo es keinen Sandro mehr gab.
Er saß im Mondschein auf der kühlen Marmorbrüstung des Fonte Gaia und sah auf den leeren Platz hinunter. Er sah sich im Kreis rennen, nicht wie er damals gewesen war, mit fündunddreißig, sondern wie er heute war: ein Mann über fünfzig, dessen Atem seine Leichtigkeit verloren hatte, mit flatterndem Trenchcoat, seine Frau auf dem Rücken.
Er trug sie noch immer. Und er dachte: Sie hat jetzt nur dich. Du musst dich für sie erinnern. Du musst ihr Gedächtnis sein, damit sie ein bisschen von dem bleiben kann, was sie einmal war.
Sein Mobiltelefon summte. Er holte es aus der Jackentasche und meldete sich. Am anderen Ende der Verbindung war Hoofdinspecteur Gallo. »Deniz ist verschwunden«, sagte er.
»Wie lange ?«
»Seit drei Tagen.«
»Er ist tot«, sagte der Commissaris. »Ich komme zurück.«
22
»Vielleicht ist er gar nicht tot«, sagte Hoofdinspecteur Gallo.
»Er ist tot«, sagte der Commissaris. »Der Mörder hat aus seinem Fehler vom letzten Mal gelernt und die Leiche beseitigt. Wir müssen sie nur finden.«
Sie saßen in einem bruin café an der Prinsengracht, in das er seine Offiziere und Brigadier Tambur zur Lagebesprechung bestellt hatte. Das Café gehörte zu den Kneipen, die niemals als Geheimtipp in Hochglanzmagazinen auftauchten. Es war zwar sauber, aber schlecht beleuchtet, und es gab keine Getränke mit bunten Papierschirmen in zerstoßenem Eis. Eine Jukebox jammerte alte Chansons und englische Schlager aus der Zeit, als Superstars noch nicht im Fernsehen zusammengebaut wurden. Dabei leuchtete sie wie ein Pavianhintern im Abendrot. Zwischen den Liedern war aus der Küche das Scheppern von Geschirr zu hören.
Einmal am Tag fiel die Sonne durch die Tür in den Schankraum und beleuchtete das ausgezehrte Gesicht Vincent van Goghs auf einem vergilbten Ausstellungsplakat an der Wand über der Jukebox. Auf dem Ebenholztresen schimmerten eine vernickelte Registrierkasse, eine chromglänzende Kaffeemaschine und ein Papierserviettenspender aus Messing. Daneben
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