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Und weg bist du (German Edition)

Und weg bist du (German Edition)

Titel: Und weg bist du (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Kae Myers
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hatten, das wie ein Junge wirkte, ließen sie mich in Ruhe. Die weniger schlimmen ignorierten Jack und mich einfach. Aber einige hatten eine gewaltsame Ader, der wir so gut wie möglich entgingen, indem wir uns unsichtbar machten.
    Ich strich mir über die Haare und wünschte, ich hätte ein paar Klammern, um sie zurückzustecken. Auch Lippenstift und Lidschatten wären nicht schlecht gewesen, doch selbst so sah ich hübscher aus, als ich früher je gewesen war.
    Nachdem ich mich angezogen hatte, verließ ich das Badezimmer und ging durch den Flur. Noah schien tatsächlich weg zu sein und ich musste meine Enttäuschung hinunterschlucken. Wahrscheinlich hatte er die Wohnung verlassen, um mir nicht mehr begegnen zu müssen. In der Küche suchte ich in den Schränken nach etwas Essbarem und nahm mir einen Bagel. Dann rief ich ein Taxi, das erst nach zwanzig Minuten kam. Die Eingangstür zog ich hinter mir zu. Noah um Hilfe zu bitten war ein Fehler gewesen. Mein Auto mit allem, was ich brauchte, um nach Hause zurückzukehren, war noch immer verschollen, aber wenn ich Jack finden würde, wäre trotzdem alles gut. Mein Bruder und ich, wir hatten immer füreinander gesorgt. Selbst wenn er in Schwierigkeiten steckte, gemeinsam würden wir eine Lösung finden.
    Ich ließ mich im Zentrum von Watertown absetzen und verbrachte den Nachmittag damit, Orte aufzusuchen, wo Jack und ich als Kinder gewesen waren. Dazu zählten diverse Computer- und Gamestores, unsere Lieblings-Fastfood-Restaurants und die Flower-Memorial-Bücherei, die ich geliebt hatte. Ich fand nichts Neues heraus, aber es half mir, meine Angst ein wenig abzubauen, so als würde ich mich langsam dem nähern, was noch vor mir lag. Schließlich landete ich in einem Internetcafé und prüfte meine E-Mails, in der Hoffnung auf eine Nachricht von Jack. Doch ich wurde enttäuscht. Auch die anschließende Suche in seinen Lieblingsforen war erfolglos. Kein Zeichen von ihm.
    Jetzt blieb mir nichts anderes, als den nächsten Schritt zu tun, so unangenehm er auch sein mochte: Ich machte mich auf den Weg in die Keyes Avenue. Es war Zeit, mich dem Ort zu stellen, den ich so lange gemieden hatte.
    Es begann bereits zu dämmern, als ich die vertrauten Straßen entlangwanderte, die in den Stadtteil mit den vorwiegend älteren Häusern führten. Der Himmel im Westen war seltsam braunviolett gefärbt. Er erinnerte mich an einen größer werdenden Bluterguss. Auf der anderen Seite, im Osten, waren in der Ferne Regenwolken zu sehen, die sich voreinanderschoben wie der Stoff eines dunkelgrauen Schals. Vielleicht ein weiteres Unwetter, das sich der Stadt näherte. Ob es aber einen solchen Platzregen wie letzte Nacht geben würde, konnte man noch nicht sagen.
    Wie von einem Magneten angezogen trugen mich meine Füße zurück zu Seale House. Von dem gegenüberliegenden Gehweg aus musterte ich das große Gebäude, das zwischen den umstehenden Häusern hervorstach. Stufen führten zu der massiven Doppeltür hinauf. Die Fassade bestand aus rosafarbenem Stein, der im nachlassenden Licht rötlich schimmerte. Lange Schatten fielen auf die Terrasse und ließen die Glasscheiben in der Tür sowie die Fenster schwarz erscheinen. Kurz glaubte ich hinter einem davon eine Bewegung zu sehen. Doch ich versuchte mir einzureden, dass es nur die Spiegelung einer vorbeiziehenden Wolke gewesen war.
    Das Haus, das einst von außen so beeindruckend auf mich gewirkt hatte, war nur noch eine Ruine. Die gesamte östliche Seite war schwarz und verkohlt. Trotz des elenden Anblicks empfand ich unwillkürlich eine gewisse Genugtuung, ähnlich wie vor zwei Jahren, nachdem ich erfahren hatte, dass Melody, meine boshafte Mutter, es endlich geschafft hatte, sich selbst in den Tod zu feiern.
    Für einen Moment kniff ich die Augen zusammen, um die Gedanken an früher zu verdrängen. Doch selbst mit geschlossenen Augen konnte ich das Haus noch sehen, als hätte es sich auf meine Netzhaut gebrannt. Einmal mehr war ich wieder zwölf Jahre alt.
    Wir gingen den Weg mit den einzementierten Kieselsteinen hinauf. Mir entwich ein zufriedenes Seufzen, als ich das prächtige Haus vor mir sah. Dann vernahm ich Jacks neckende Stimme, so leise, dass die Sozialarbeiterin ihn nicht hörte. »Du hast dich verliebt.«
    Ohne den Blick von der großen Veranda und dem rosafarbenen Stein abzuwenden, der in der direkten Nachmittagssonne blass schimmerte, flüsterte ich zurück: »Du doch auch«, und wusste, was er dachte, denn ich konnte es in

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