Und wenn es die Chance deines Lebens ist
John, war ebenfalls dabei. Die wunderschöne, akademisch gebildete Japanerin mit den großen mandelförmigen Augen schenkte Frédéric ein reizendes Lächeln, als er eintraf. John war nicht besonders gut gelaunt und schimpfte über Gott und die Welt. Er beklagte sich über die schlechte Qualität des Service, der überall in Paris zu wünschen übrig ließe, und über die Kellner, die ihr Metier nicht mehr verstanden. In Frankreich dauere alles zu lange, und die Beamten seien unausstehlich. Die Arbeitslosigkeit sei allein deshalb so hoch, weil niemand arbeiten wollte,und das stetig wachsende Gefühl von mangelnder Sicherheit sei unerträglich. Vor ein paar Tagen war Ikos Nerzmantel in der Garderobe eines Sternerestaurants gestohlen worden. Der Inhaber wollte keine Verantwortung übernehmen. Eine Schande sei das. »Ach, übrigens, Solis, wo wir gerade darüber sprechen, könntest du wohl in den nächsten Tagen einen kurzen Brief an dieses Restaurant schreiben, damit sie begreifen, dass man sich mit Witherspoon nicht anlegt, damn it .« Und ohne Frédérics Antwort abzuwarten, setzte er sein Gejammer fort, wobei es jetzt um seine zukünftige Exfrau ging. Er verkündete, sie werde bei dem Treffen am nächsten Samstag schon erfahren, mit wem sie es zu tun habe.
Doch Frédéric hörte ihm schon nicht mehr zu. Hätte er aufmerksam verfolgt, was sich am Tisch zutrug, hätte er bemerkt, dass John Witherspoon mit bösen Blicken beobachtete, wie seine Freundin seinem Anwalt schöne Augen machte. Da Frédéric nur an seine Pappschachtel dachte, entging ihm das. Zudem beunruhigte ihn die Geschichte über den in der Garderobe gestohlenen Nerzmantel. Was, wenn ihm jemand sein Erbe stahl? Nur er allein und niemand sonst konnte Anspruch auf die Zeichnung, die Fahrscheine, die Eintrittskarten und das Gemälde des Impressionisten erheben. Frédéric ärgerte sich über sich selbst, dass er sich zu der Vermutung hinreißen ließ, am Ende des Abenteuers würde ein Meisterwerk auf ihn warten. Das war absurd und mehr als unwahrscheinlich. Wenn er es sich jedoch ehrlich eingestanden hätte, träumte er, der Rechtsanwalt Solis, der vor einem Pfeffersteak saß, während sein wichtigster Mandant über seine Scheidungsprach, genau davon. Frédéric hatte es eilig, die Schachtel wieder an der Garderobe abzuholen. Als der Kaffee nach einer gefühlten Ewigkeit serviert worden war, verabschiedete er sich von seinen Gastgebern.
»Wir sehen uns dann am Samstag, Solis, mit meiner Frau und ihrem Anwalt. Und diesmal werden wir die Dinge vorantreiben, nachdem es heute ein bisschen schleppend verlief, right?«, sagte John, ehe er sich von Frédéric verabschiedete.
Frédéric drückte ihm die Hand und ging zur Garderobe. Die Pappschachtel stand noch da, und nichts fehlte. Er sprang in ein Taxi. Als er jedoch die Tür zuwarf, fiel ihm ein, dass er den Termin mit Witherspoon an diesem Samstag hatte. Am Samstag, dem 15. Dezember. Für diesen Tag war die Zugfahrkarte ausgestellt.
In farblich nicht zusammenpassendem Slip und BH stand Pétronille in einer Umkleidekabine. Sie versuchte, ein blaues Kleid anzuprobieren, das unglücklicherweise wohl eine Nummer zu klein war. Pétronille hatte sich beklagt, dass sie für die Feier anlässlich des 40. Hochzeitstages ihrer Eltern nichts anzuziehen hätte. Bis dahin war noch reichlich Zeit, aber Dorothée, die schon genau wusste, was sie an dem Tag tragen würde, meinte, sie sollten sich besser schon heute darum kümmern. Dorothée war keine von denen, die alles auf den letzten Drücker erledigen. Und Pétronille hörte immer auf Dorothée.
Ihr Handy zeigte 13:08 Uhr, sie hatte jetzt Mittagspause. In dieser Woche hatte sie bereits Überstunden angesammelt, dabei war es erst Mittwochmittag. Dennoch fühlte Pétronille sich in der Boutique in der Avenue Montaigne so erbärmlich, als hätte sie sich aus Frédérics Portemonnaie bedient. Die Suche nach dem passenden Outfit hatte sie schon genug Zeit gekostet. In dieser Boutique musste sie etwas finden – jetzt oder nie. Das Kleid musste einfach passen.
Während Pétronille sich noch immer mit ihrem Kleid herumquälte, fragte sie sich, warum sie ein so schlechtesGewissen hatte. »Erst wenn Sie aufhören, ständig andere beeindrucken zu wollen, werden Sie sich selbst entfalten.« Das hatte Pétronille in irgendeinem Horoskop gelesen, und es war ihr im Gedächtnis haften geblieben, weil es tatsächlich stimmte. Sie hatte mit dem Jurastudium begonnen, um ihren Vater zu
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