Und wenn es die Chance deines Lebens ist
Krankenhaus, in dem Fabrice Nile die letzten Wochen seines Lebens verbracht hatte, mit den Recherchen beginnen. Pétronille hatte sich einiges vorgenommen, aber sie würde es schaffen.
Jetzt war ihr schon etwas leichter ums Herz. Kurz bevor sie an der Metrostation ankamen, schaltete sie das Handy wieder ein. Als sie Frédérics Nachricht abhörte, ließ sie die Schultern sinken. So ein Mist! Er bat sie, etwas zu tun, was sie besonders hasste. Sie sollte John Witherspoon anrufenund ihm eine schlechte Nachricht überbringen. Er würde mit Sicherheit verärgert reagieren. Frédéric sagte den Termin für Samstag ab und bat sie, ein neues Treffen für Montag zu vereinbaren. Wie sehr sie diesen Witherspoon verabscheute! Er behauptete, Frédéric sei wie ein Sohn für ihn. Seinen richtigen Sohn konnte man wirklich nur bedauern. Pétronille hatte keine Lust, Witherspoon jetzt anzurufen. Sie würde den Anruf später vom Büro aus tätigen.
In dem Augenblick, als Pétronille das Drehkreuz in der Metro passierte, wurde ihr bewusst, dass Frédéric zum ersten Mal einen Termin mit einem Mandanten absagte.
Frédéric schaute auf die Uhr: Es war 21:46 Uhr. Er saß in einem modernen Sessel. Das Smokinghemd hatte er noch nicht zugeknöpft, sein Blick war auf den Sisley gerichtet. Auf dem Display des Smartphones, das auf seinem Oberschenkel lag, wurde die E-Mail von Pétronille angezeigt. »Ich habe eine Spur ...« 21:47 Uhr. Wann würde er den Mut aufbringen, Dany anzurufen, um ihr für heute Abend abzusagen?
In dem Jahr, als Dany Simonet vom Télé Star für ihre Rolle in einer Krimiserie auf TF 1 zur »beliebtesten Schauspielerin Frankreichs« gewählt worden war, hatte sie sich von ihrem 35-jährigen Ehemann scheiden lassen. Das war sechs Jahre her. Jetzt sah man ihr strahlendes Botox-Lächeln auf allen Partys, von denen sie und ihr neuer Ehemann, der 20 Jahre jünger war als sie, die meisten gaben. Frédéric hatte sie bei ihrer Scheidung als Anwalt vertreten und ihren Ehevertrag aufgesetzt. Seitdem bestand sie darauf, dass er auf jedem ihrer Feste an ihrer Seite war, und sobald sie beschwipst war, legte sie es darauf an, mit ihm zu flirten. Durch sie hatte Frédéric vor fünf Jahren Marcia kennengelernt, die große Feste eigentlich nicht mochte. Eine Einladung von Dany lehnte man jedoch nicht ab. IhrAdressbuch war ein Who’s who des Showbusiness. Heute Abend hatte sie Frédéric eine SMS geschickt, um ihm mitzuteilen, dass ihn eine Überraschung erwartete. Zum ersten Mal, seitdem er sie kannte, würde er eine Einladung von ihr ablehnen und obendrein auch noch in letzter Minute absagen. Das würde sie ihm mit Sicherheit übel nehmen. Deshalb würde er Pétronille morgen bitten, ihr einen riesigen Blumenstrauß und ein Kärtchen mit ein paar schmeichelnden Worten zu schicken, und schon würde alles wieder vergessen sein.
Nachdem er sich endlich dazu durchgerungen hatte, Danys Nummer zu wählen, atmete er erleichtert auf, als ihr Anrufbeantworter ansprang, und gab vor, sich heute Abend nicht ganz wohlzufühlen.
Frédéric stand auf, um sich eine Schachtel Zigaretten zu holen, die in einer Schublade der Konsole lag. Auf großen Partys rauchte er mitunter, aber er gestattete sich niemals, in seiner Wohnung zu rauchen. An diesem Abend schaffte er es jedoch nicht, darauf zu verzichten. Er trat ans Fenster, worauf der Zigarettenrauch vor der leuchtenden Kulisse der Stadt in die Höhe stieg. Die Wahrheit war, dass er seit dem Termin bei dem Notar (oder war es die Lieferung des Sisleys?) unter einer entsetzlichen Müdigkeit litt. Seit drei Tagen hatte er nicht richtig geschlafen, und es fiel ihm schwer, sich bei der Arbeit in der Kanzlei zu konzentrieren. Sicher, er wurde nicht jünger. Seit dem Beginn des Studiums war er es gewohnt, 14 Stunden am Tag zu arbeiten und das sechs Tage die Woche. Und im nächsten Jahr wurde er 40. Wie lange würde er diesen Stress noch durchhalten? Er musste dringend einmal Urlaub machen. Zwarfuhr er zum Großen Preis von Monaco, verbrachte ein paar Wochenenden im Sommer in Saint-Tropez oder Deauville, ein paar Wochenenden im Winter in Gstaadt oder in Verbier. Doch das waren alles berufliche Termine, notwendige Geschäftsreisen, um sein Netzwerk auszubauen. Oftmals wurde er von Dany oder John oder anderen großzügigen Mandanten dazu eingeladen. Kurztrips nach New York erlaubte Frédéric sich nur dann, wenn große Versteigerungen impressionistischer Gemälde stattfanden. Sobald andere, die
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