Und wieder Carmel
schüttelt den Kopf, als er mich mit dem Handy sieht und beugt sich erneut
zu mir hinüber. Aber anstatt eines zweiten Kusses kommt nur: „Wer ist nur so
wichtig, dass du während der Hochzeit meines Bruders SMS verschickst?“ Da war
sie wieder, die verbale Keule des Alex Walker. Eingeschüchtert und verärgert
stecke ich das Handy ein. Still und schmollend sitze ich während des Essens
neben ihm und stelle mir immer wieder dieselbe Frage. Wie schafft es ein
einziger Mann, mich allein mit seiner bloßen Erscheinung in Erregung zu
versetzten und mit nur einem Satz alles wieder zu zerstören?
Victoria Walker steht plötzlich neben mir und fragt: „Anna Schätzchen, alles
ok?“
„Ja, alles in Ordnung.“
„Du siehst traurig aus.“
„Nein, nein, alles gut.“
„Na dann komm, wir wollen Fotos machen.“ Sie greift nach meinem Arm und zieht
mich in die hintere Ecke des Gartens, wo Rita-Sue und Felix vor einem
Kirschlorbeerbusch stehen. Ich werde neben Rita-Sue gestellt und mit Felix und
Alex zusammen abgelichtet. Dann ein Foto mit den Eltern und den Trauzeugen und
mehrere Gruppenfotos.
Die Band spielt im Hintergrund und gemeinsam bilden wir nach der Foto-Session
auf der Tanzfläche einen Kreis. Das Brautpaar eröffnet den Tanz mit dem
Hochzeitswalzer und fordert dann seine Gäste auf, auch zu tanzen. Großvater Lou
hat sich gleich nach den Fotos wieder auf seinen Platz begeben und so stehe ich
ein wenig verlassen neben Alex.
„Wollen wir?“, fragt er freundlich und hält mir seine Hand hin. Ich lege meine
Hand hinein und er umarmt mich. Von null auf hundert in eins Komma null
Sekunden rast mein Herz wieder los. Wir tanzen langsamen Disco-Fox und
harmonieren fast perfekt. Der minimale Abstand zwischen uns und dazu seine
Berührung stören meine Konzentration und verhindern die Perfektion.
Ich denke an unseren letzten Tanz beim Schulball auf der High-School. Es war kein
schöner Tag, wie er es eigentlich hätte sein sollen. Amy und ich kamen am
Nachmittag ausgesprochen aufgedreht von der Schule nach Hause, da wir den Abend
kaum erwarten konnten. Wir betraten das Haus und Jamie kam in den Flur
gelaufen. Sie schien sehr aufgeregt und angespannt.
„Anna, du hast Besuch“, sagte sie und wies auf das Wohnzimmer .
„Wer denn?“, fragte ich überrascht und ging hinein .
„Hallo mein Kind“, begrüßte mich meine Mutter kühl.
„Mom, Dad, was macht ihr denn hier?“, rief ich voller Entsetzen, ging aber
dennoch auf sie zu und umarmte sie .
„Wir sind hier, um dich nach Hause zu holen“, sagte meine Mutter .
„Aber ich bleibe hier“, rief ich störrisch.
Amy betrat den Raum. „Anna, alles ok?“
„Amy, das sind meine Eltern, Ingrid und Rolf Wallenstein. Mom, Dad das ist Amy,
die Tochter von Jamie und Glen.“
„Freut mich sehr, Sie kennenzulernen“, begrüßte Amy meine Eltern, die sie
leider nicht verstanden.
Ich übersetzte und meine Eltern begrüßten Amy ebenso herzlich.
„Warum sind sie hier?“, frage Amy .
„Sie wollen mich nach Hause holen.“
„Und Alex?“
„Keine Ahnung. Ich weiß nicht was ich tun soll.“
„Ich rufe ihn an.“
„Ja, danke.“
Jamie brachte Eistee für alle und wir setzten uns gemeinsam im Wohnzimmer auf
die Sofas. Glen war ebenfalls eingetroffen und ich übersetzte das Gespräch
zwischen meinen leiblichen und meinen Gasteltern .
„Inge und Rolf wie war euer Flug?“
„Ganz angenehm, wir mussten zweimal umsteigen, aber es ging“, erklärte meine
Mutter .
„Ihr seid sicher müde, wollt ihr euch nicht erst ein wenig ausruhen?“, fragte
Jamie .
„Nein, danke, wir würden nur gern mit Anna sprechen, das letzte Telefonat hat
uns fürchterlich aufgeregt. Dass sie hier bleibt, kommt überhaupt nicht
infrage.“
„Im ersten Moment haben wir ähnlich gedacht. Vielleicht kann ich euch ein wenig
über Alex erzählen, möglicherweise finden wir einen Kompromiss“, versuchte Glen
meine Mutter zu beschwichtigen, die angespannt und mit aufgesetzt freundlicher
Miene auf dem Sofa saß. „Ich kann verstehen, dass ihr euch Sorgen um Anna
macht, aber bitte glaubt mir, Alex ist nicht wie andere, er ist ein guter
Junge, pflichtbewusst, intelligent und er hat eine wirklich erfolgreiche
Zukunft vor sich.“
„Das mag ja alles sein, Glen …“, begann meine Mutter, „aber Anna hat keinen
Schulabschluss, sie ist nicht volljährig und ihre Zukunftsaussichten sehen im
Moment nicht sehr rosig aus.“
Ich hörte den Mustang vor dem Haus halten und Amy lief zur Tür. Sie ließ
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