Undead 02 - Suss wie Blut und teuflisch gut
aber schnell wieder. Ich habe es nie gemocht, mir Menschen mit dem bösen Blick gefügig zu machen, und tat es auch nur in Notfällen. Wenn ich zum Beispiel vor Hunger starb oder um in der Schlange vorm Kino ein paar Plätze vorzurücken.
Ich schwor, der nächsten Person, die mich um Hilfe bat, ein Paar Schuhe zu verkaufen, egal, wie ausgetreten ihre Sneakers, wie abgelaufen ihre Absätze waren, egal, ob der Lidschatten verschmiert war und der Lipliner nicht zum Lippenstift passte, ich würde ihr etwas Fantastisches ver-43
kaufen und dabei immer freundlich lächeln, auch wenn ich mich später im Umkleideraum übergeben müsste.
Ich marschierte zurück in den Verkaufsraum, auf der Suche nach einem geeigneten Kunden. Da! Da stand eine Kundin, und sie war noch nicht einmal schlecht gekleidet in ihrer Leinenjacke und der dunkelblauen Hose. Gute Schuhe – Manolos, Jahrgang etwa 2001. Sie war ungefähr so alt wie meine Mutter und sah sich die Beverly-Feldman-Stiefel an.
»Hallo«, sagte ich heiter. Sie zuckte zusammen und fiel fast in das Schuhregal. Ich griff nach ihrem Ellbogen und hielt sie zurück – ein wenig zu feste. Ihre Füße schwebten für einen Augenblick über dem Boden. »Hoppla, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Sie drehte sich um und sah mich an, mit schreckgewei-teten Augen. Ich konnte das Weiße rund um ihre Pupillen sehen und hörte, dass ihr Herzschlag an Tempo zugelegt hatte. Ich fühlte mich wirklich schlecht.
»Machen Sie das nicht noch einmal, meine Liebe! Ich habe Sie gar nicht kommen hören.«
»Es tut mir leid.« Gute Arbeit, Betsy, du Idiotin. Erst weigerst du dich, den Kunden etwas zu verkaufen, dann erschrickst du sie zu Tode. Dummer, untoter Schleichfuß. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Sie spähte zu mir hoch. »Warum tragen Sie eine Sonnenbrille?«
»Ich habe empfindliche Augen«, log ich, »dieses Neonlicht bringt mich um. Äh . . . ich wollte nur wissen, ob ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann.«
»Mir kannst du behilflich sein.«
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Ich bekam eine Gänsehaut auf den Armen und erschauderte fast. Diese Stimme kannte ich. Eric Sinclair, ein Vampir und richtig harter Typ, der immer und überall auftauchte, wo ich ihn nicht brauchen konnte. Und mein Gemahl, Gott steh mir bei. So lächerlich es auch klingt, die meisten Vampire denken, dass ich ihre Königin und Eric ihr König wäre. Mein König.
Ich richtete mich auf, starrte ins Leere und legte meinen Kopf aufmerksam horchend schief. »Ja, Satan?« Ich drehte mich langsam um und setzte ein breites Lächeln für Sinclair auf. »Ups, sorry, Sinclair. Ich habe dich mit jemandem verwechselt.«
Er stand bei dem Turm, den ich aus halbhohen Liberty-Stiefeln errichtet hatte, die Arme vor der Brust verschränkt, den Mund missbilligend verzogen. Wie immer, wenn ich ihn sah, geriet mein untotes Herz ins Schleudern. Wenn das keine Ironie ist: Ich musste erst sterben, um den Richtigen zu treffen, und dann stellte sich heraus, dass ich ihn nicht leiden konnte.
Er trug eine schwarze Leinenhose, ein dunkelblaues Hemd und Slipper ohne Socken. Seine schwarze Wildleder-jacke sah aus, als wäre sie von Kenneth Cole.
Wie immer wurde ich von seinem Charisma überwältigt wie von einer riesigen Welle. Ich verspürte den unwider-stehlichen Drang, zu ihm zu laufen und meine Hände unter seine Jacke zu stecken. Natürlich nur, um nach dem Label zu schauen . . . Er war immer noch der bestaussehen-de Mann, den ich kannte: groß, gut gebaut, kraftvoll, mit schwarzen Haaren und dunklen Augen! Dunkle Augen wie die eines Teufels.
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Ganz zu schweigen von seinem Teufelsmund. Junge, konnte der Mann küssen! Er fragte nie, bevor er mich küsste, und das brachte mich noch mehr in Rage. Nicht ein einziges Mal. Er nahm sich einfach, was er wollte. Ich hasste ihn, und mich hasste ich dafür, dass ich ihn so attraktiv fand.
»Ich konnte es einfach nicht glauben«, sagte er.
»Wie? Ich habe nicht zugehört.«
Der Moment meiner geistigen Abwesenheit hatte anscheinend länger gedauert, als ich gedacht hatte. Ich hatte ihn nicht wiedergesehen seit der Nacht, als wir gemeinsam unseren Feind Nostro getötet und . . . äh . . . zueinandergefunden hatten. Was soll ich sagen? Es war damals eine verrückte Woche gewesen.
Ich wandte mich wieder meiner Kundin zu, die Sinclair mit offenem Mund anstarrte. Ihre Atmung schien ausge-setzt zu haben. Ihr Herzschlag dagegen hatte sich stark beschleunigt. Ich stupste sie an. »Wir haben einige hübsche Stiefel in
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