Undercover
Tatortermittlung durch und werten die Beweismittel selbständig aus.«
»Davon rede ich ja«, sagt Win. »Die Bostoner Polizei hat ihre eigenen Labore, und wenn wir mal ehrlich sind, werden Fälle aus Cambridge bei den Laboren der State Police wegen Lamont bevorzugt behandelt.«
»Und weil Cambridge nicht bei FRONT mitmacht. Und wenn wir mal ehrlich sind, werden die Dezernate bestraft, die uns beitreten. Als hätten wir Hochverrat begangen.« Sie weiß, dass sie mürrisch klingt. Stump kann sich nicht erklären, warum Win immer ihre schlechteste Seite zum Vorschein bringt.
»Wenn ich ein schlauer Bankräuber wäre«, fährt Win fort, »würde ich mir meine Ziele auf jeden Fall danach aussuchen, wo die Ressourcen der Polizei beschränkt sind und die Beweismittelanalyse ewig dauert, falls sie überhaupt gemacht wird.«
»Hm, das trifft auf den Großteil von Middlesex County zu. Und was soll mir das jetzt sagen?«
»Dass Sie nicht nur darüber nachdenken sollten, wo er seine Taten verübt, sondern vor allem, wo er sie nicht verübt. Der Bursche meidet offensichtlich Boston und Cambridge. Warum? Vielleicht aus den gerade genannten Gründen. Oder weil er in Boston oder Cambridge wohnt. Und Angst hat, erkannt zu werden.«
»Sind Sie am Ende unser Bankräuber? Sie haben schließlich diese nette Wohnung in Cambridge.«
»Sagt wer?«
»Ich mache mich schlau, wenn jemand auf meinem Radarschirm auftaucht«, sagt Stump. »Auf jeden Fall haben Sie einen Lebensstil, als würden Sie Banken überfallen.«
»Sie wissen überhaupt nichts von meinem Lebensstil. Sie bilden es sich nur ein.«
Stump weist mit einem latexüberzogenen Finger auf den Zettel und sagt: »Gleiche Schreibweise und Interpunktion, gleiche Handschrift.«
»Sie sollten Handschuhe aus Baumwolle tragen. Latex kann Bleistiftspuren und manche Tintensorten verschmieren. Stammt der Zettel aus demselben Block?«, fragt Win.
»Sie kennen sich also aus mit Durchdruckspuren.«
»Haben Sie elektrostatische Erkennungsverfahren benutzt?«
»Heiliges Kanonenrohr! ESDA kennt er auch! Sie sind ja ein ganz Gewiefter! Als hätten wir hier so was wie ESDA«, sagt Stump verbittert. »Und wenn wir euch fragen? Dann würde es etwa zehn Jahre dauern, bis ihr mal Zeit dafür habt. Egal, es ging auch mit Schrägbeleuchtung. Auf jedem Zettel sieht man die Abdrücke des zuletzt beschriebenen.«
»Der Kerl will, dass wir ihn wiedererkennen«, sagt Win.
»Wir? Es gibt kein >Wir<. Wie oft muss ich Ihnen das noch sagen? Hören Sie auf, sich in mein Leben zu drängen, das läuft nämlich nicht. Ich helfe Ihnen nicht bei Ihrer Charmeoffensive.«
»Janie Brolin wäre bestimmt nicht glücklich, wenn sie wüsste, dass Sie den Mord an ihr eine Charmeoffensive nennen.«
Stump will, dass er geht. Zu seinem eigenen Besten.
Sie sagt: »Warum sollte dieser Bankräuber wollen, dass - Zitat - >wir ihn wiedererkennen«
»Vielleicht aus Geltungssucht. Oder er sucht den Nervenkitzel, und das Ganze bringt ihn in Stimmung.«
»Oder er ist einfach nur strunzdumm und merkt nicht, dass er jedes Mal die Abdrücke auf dem Papier darunter hinterlässt, wenn er einen neuen Zettel schreibt«, sagt Stump.
»Was ist mit latenten Spuren? Auf den anderen drei Zetteln?«
»Nichts. Nicht ein verfluchter Fingerabdruck, nicht mal ein Teilabdruck.«
»Gut, dann kann er nicht dumm sein«, sagt Win. »Sonst würde ihm das kaum gelingen. Mitten am Tag. Ohne Fingerspuren. Haben Sie Ninhydrin verwendet?«
Ninhydrin ist ein billiges, bewährtes und zuverlässiges chemisches Mittel, mit dem man latente Abdrücke auf porösen Oberflächen wie beispielsweise Papier sichtbar machen kann. Die Chemikalie reagiert mit den Aminosäuren und anderen Bestandteilen von Ölen und Schweiß, die aus den Poren der Haut austreten. Stump erklärt Win, dass es bei keinem der Zettel funktioniert habe, ebenso wenig erfolgreich seien forensische Lichtquellen mit verschiedenen Bandbreiten und speziellen Filtern gewesen.
»Und die Kassierer fassen die Zettel nicht an?«, überlegt Win.
»Sie lassen sie an Ort und Stelle liegen. Quintessenz? Wir haben nichts. Es gibt keine logische Erklärung, warum der Bankräuber keine Spur seiner Identität auf mittlerweile vier Zetteln hinterlässt - es sei denn, der Kerl trägt Zauberhandschuhe, die man mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Selbst in Fällen, wo es keine verwertbaren Strukturdetails gibt, hinterlassen Menschen ohne Handschuhe irgendeine Spur. Einen Fingerabdruck. Wenn auch
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