Undercover
denkt, er könnte es sein.
Er ist es nicht.
»Fertig«, sagt Special Agent McClure vom FBI.
»Jetzt soll ich mich wohl freuen«, sagt Stump.
»Diese Reaktion habe ich befürchtet. Sieht aus, als müssten wir uns noch mal unter vier Augen unterhalten. Sie entwickeln langsam Vertrauen zu ihm.«
»Ich kann ihn noch nicht mal leiden«, sagt Stump.
Es ist zwanzig nach zehn, als Win gegenüber dem Gericht hält und sich wundert, Lamonts Wagen auf dem für sie reservierten Parkplatz neben der Hintertür zu sehen.
Auch das noch. Sie macht also Überstunden, und es wäre typisch für sie, anzunehmen, dass es nur ein Vorwand von ihm sei, hier so spät noch aufzukreuzen, um seinen Schreibtisch aufzuräumen. Sie ist so eitel, dass sie sich einbilden wird, in Wirklichkeit wolle er sie sehen, er habe irgendwie geahnt, dass sie zu dieser Uhrzeit da sein würde, er könne die Vorstellung nicht ertragen, nicht mehr auf der anderen Seite des Flurs zu sitzen. Was soll er tun? Er braucht die Akten von verschiedenen Fällen, braucht seine Notizen. Ihm kommt der Gedanke, dass es Lamont recht geschähe, wenn er sein Büro komplett räumte. Dann würde sie sich fragen, ob er jemals wiederkäme. Win lässt die Seitenscheibe herunter, sein Handy vibriert. Nana. Das zweite Mal in einer Stunde. Diesmal geht er dran.
»Normalerweise schläfst du längst um diese Uhrzeit«, sagt er.
Seine Großmutter hat sonderbare Gewohnheiten, beispielsweise stellt sie sich unter die Dusche, sobald die Sonne untergeht. Legt sich dann ins Bett, steht gegen zwei oder drei Uhr morgens wieder auf, flattert im Haus herum wie eine Motte.
»Der Nichtmensch hat die Essenz deines Wesens gestohlen«, sagt sie. »Wir müssen uns beeilen, mein Schatz.«
»Das versucht sie schon seit Jahren, aber bisher hat sie die Essenz meines Wesens nicht angerührt.« Als Win die Rückseite des Gerichts betrachtet, geht das Licht im obersten Stockwerk an. Das Gefängnis. Er bekommt Lamont einfach nicht aus dem Kopf. »Mach dir keine Sorgen, Nana. Meine Essenz ist vor ihr sicher.«
»Ich rede von deiner Sporttasche.«
»Du musst dir auch keine Sorgen um meine Wäsche machen.« Er zeigt seine Ungeduld nicht, will Nana um nichts in der Welt wehtun. »Ich schaffe es wahrscheinlich eh nicht, morgen vorbeizukommen. Es sei denn, du brauchst dein Auto.«
»Als ich auf der Schwelle des Schlafes war, kam dieses Wesen herein, und ich habe es wieder nach draußen geschickt. Du bist in viel mehr verwickelt, als du dir gewünscht hast«, sagt Nana. »Das Wesen hat deine Sporttasche mitgenommen, um deine Essenz zu stehlen! Um sie wie eine eigene Haut zu tragen!«
»Moment mal!« Win konzentriert sich auf das Gespräch. »Willst du damit sagen, dass jemand bei dir eingebrochen ist und meine Sporttasche gestohlen hat?«
»Das Wesen kam herein und nahm sie mit. Ich bin nach draußen gegangen, auf die Straße, aber es war schon weg, bevor ich es in meinen Zauberkreis bannen konnte.«
»Wann war das?«
»Kurz nachdem es dunkel wurde«, sagt Nana. »Ich komme rüber.«
»Nein, mein Schatz. Hier ist nichts für dich zu tun. Ich habe den Türknauf abgewischt, habe die Küche von oben bis unten von der bösen Energie gereinigt …«
»Du hast doch nicht …«
»Ich habe die böse, unreine Energie vernichtet! Du musst dich besser schützen!«
Sie beginnt mit ihrer Litanei schützender Rituale: koscheres Salz und griechische Kreuze. Ein Pentagramm auf ein Foto seiner selbst malen. Überall weiße Kerzen aufstellen. Achteckige Spiegel in allen Fenstern aufhängen. Das Telefon ans rechte Ohr halten, nie ans linke, weil das rechte Ohr schlechte Energie ableitet, während das linke sie in den Körper hineinsaugt. Schließlich ruft Nana: Dem, der das getan hat, wird etwas Schlimmes passieren! Dann ihr Nana-Lachen, ein gutherziges Gegacker, als Win das Gespräch beendet.
Sie war schon immer ungewöhnlich, aber wenn sie sich auf »ihren Besen schwingt«, wie Win es ausdrückt, geht sie ihm gehörig auf die Nerven. Ihre Vorahnungen und ihre Hellsichtigkeit, das ständige Verfluchen und Verzaubern wecken in ihm alte Gefühle von Misstrauen, bösen Ahnungen, vielleicht sogar von Schuld. Nana, die Zauberin. Was konnte sie ausrichten, als es zum Schlimmsten kam, das ihm je passierte? All ihre Versprechen, was die Zukunft nicht Wunder weiß was für ihn bereithalten würde. Er könne überallhin gehen, könne alles werden, die Welt gehöre ihm. Seine Eltern wollten kein weiteres Kind, weil er so etwas
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