Undercover
sie, »kommt es letztlich darauf an, dass man eine gute Figur macht. Und ich freue mich, sagen zu können, dass ich das tue.« Sie spielt das Video ein zweites Mal ab, sichtlich zufrieden mit ihrem exotisch schönen Gesicht, dem perfekten Gebiss, ihren wohlgeformten Beinen, der beneidenswerten Brust. »Merken Sie sich das, Mick! So läuft das hier bei uns nun mal.«
»Nicht ganz«, sagt er. »Der Gouverneur hat angerufen.«
Lamont hält inne. Der Gouverneur ruft nie an.
»Wegen YouTube«, sagt Mick. »Er will wissen, wer dahintersteckt. Denn wenn Sie schlecht dastehen, steht der Gouverneur auch schlecht da, weil er schließlich derjenige ist, der …«
»Was genau hat er gesagt?«, will Lamont wissen.
»Ich habe nicht mit ihm persönlich gesprochen.«
»Natürlich haben Sie das nicht.« Aufgebracht läuft sie weiter. »Niemand spricht mit ihm persönlich.«
»Nicht mal Sie.« Als ob Lamont daran erinnert werden müsste. »Und das nach all dem, was Sie für ihn getan haben«, fügt Mick hinzu. »Nicht einmal hat er sich mit Ihnen getroffen. Er ruft nicht zurück …«
»Das könnte unsere Chance sein«, unterbricht Lamont ihn. Ihre Gedanken sind wie Billardkugeln, flitzen über den Filz, fallen in die Taschen. »Ja, genau! Erfolg ist die beste Antwort. Wir werden dieses YouTube-Video für uns nutzen. Das ist meine Chance für eine Audienz bei Seiner Majestät, und dann muss er meine neue Initiative einfach unterstützen. Es wird ihn schon interessieren, wenn er hört, was für ihn dabei drin ist.«
Lamont weist Mick an, den Stabschef des Gouverneurs ans Telefon zu holen. Sofort. Sie müsse dringend mit Gouverneur Mather sprechen. Mick schlägt ihr vor, es sei vielleicht besser, »ihn um Unterstützung zu bitten«, aber Lamont verbietet ihm, diesen Ausdruck noch einmal in ihrer Gegenwart zu verwenden. Dennoch pflichtet sie Mick bei, dass es ihr nützen könnte, sich vor Mather hilfsbedürftig zu geben. Zu sagen, sie brauchte seinen Rat. Sie stecke plötzlich mitten in einem PR-Alptraum und befürchte, die Angelegenheit könne ein schlechtes Licht auf den Gouverneur werfen, sie wisse nicht, was sie tun solle. Et cetera.
»Dem wird er wohl kaum widerstehen können«, fügt Lamont hinzu.
»Und wenn doch? Was tun Sie dann?«
»Verdammt noch mal, das müssen Sie doch wissen!«, faucht sie ihn an.
In einem anderen Teil von Cambridge liegt das heruntergekommene Holzhaus, in dem Win von seiner Großmutter Nana aufgezogen wurde. Der mit Efeu, Sträuchern und Bäumen überwucherte Hof ist voll von Futterplätzen, Vogel-und Fledermaushäuschen.
Wins Motorrad rutscht und springt über die ungepflasterte Auffahrt. Er parkt neben Nanas uraltem Buick, setzt den Helm ab und vernimmt den feengleichen Klang der Windspiele, als hätten sich kleine Elfen auf den Bäumen und der Traufe von Nanas Haus niedergelassen und weigerten sich zu verschwinden. Nana sagt, sie würden böse Geister vertreiben, worunter Wins Meinung nach auch die Nachbarn fallen sollten: selbstsüchtige, intolerante, unverschämte Menschen. Streiten sich um gemeinsam genutzte Zufahrten und Parkplätze. Beobachten argwöhnisch den steten Strom von Besuchern vor Nanas Tür.
Win öffnet den Kofferraum des alten Buick, den Nana natürlich nicht abgeschlossen hat, und legt seine Motorradkombi hinein, dann öffnet er die Hintertür und überschreitet die Linie aus koscherem Salz auf dem Boden. Nana sitzt in der Küche und beklebt Lorbeerblätter mit breiten Streifen durchsichtigen Klebebands. Im Fernsehen läuft ein Klassiksender. Miss Dog - taub und blind und eigentlich illegal hier, weil Win den Hund aus den schlechten Händen seiner früheren Besitzerin entführte - liegt unter dem Tisch und schnarcht.
Win stellt seine Sporttasche auf die Küchentheke, daneben einen Rucksack mit Lebensmitteln, bückt sich, gibt Nana einen Kuss auf die Wange und sagt: »Dein Auto war mal wieder nicht abgeschlossen. Die Hintertür stand offen, und die Alarmanlage war nicht eingeschaltet.«
»Mein Liebling!« Nana hat helle Augen, das lange schneeweiße Haar ist auf dem Hinterkopf festgesteckt. »Erzähl mir, wie dein Tag war.«
Win öffnet Kühlschrank, Schränke und verstaut die Lebensmittel. »Lorbeerblätter schrecken keinen Einbrecher ab. Dafür hast du eine Alarmanlage und gute Schlösser. Schließt du wenigstens nachts ab und schaltest den Alarm ein?«
»Es interessiert sich doch keiner für eine alte Frau, die nichts hat, was man stehlen könnte. Außerdem
Weitere Kostenlose Bücher