Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
sie begraben und dann weitermachen. Das Leben ist Scheiße, und am Ende stirbt man. Vielleicht gibt es einen Grund dafür, dass uns die Frage nach dem Wie, Wo oder Warum nicht interessiert. Es ist besser, nicht alles zu wissen. Das kann nur zu noch mehr Kummer und Schmerzen führen.«
»Das müssen Sie für sich selbst entscheiden«, erwiderte ich.
Er nickte, ohne noch etwas zu sagen, schüttelte mir die Hand und ging davon. Ich sah ihn in einer Tiefgarage in dem Straßenblock westlich der Ninth Avenue verschwinden und vier Minuten später in einem kleinen grünen Toyota-Geländewagen herauskommen. Er ordnete sich in den nach Westen fließenden Verkehr ein. Vermutlich war er zum Lincoln Tunnel und nach Hause unterwegs. Ich fragte mich, wann ich ihn wiedersehen würde. In drei bis sieben Tagen, schätzte ich.
Aber ich hatte mich geirrt.
19
Ich stand noch immer auf der anderen Straßenseite gegenüber dem Eingang des 14. Polizeireviers, als Theresa Lee mit zwei Männern in blauen Anzügen und weißen Hemden mit Button-Down-Kragen herauskam. Sie sah müde aus. Sie war um zwei Uhr morgens alarmiert worden, also hatte sie Nachtschicht gehabt und hätte um sieben Uhr heimfahren und um acht Uhr im Bett sein sollen. Dies war ihre sechste Überstunde. Gut für ihr Bankkonto, weniger gut für alles andere. Sie stand in der Sonne, blinzelte und reckte sich; dann entdeckte sie mich auf der anderen Straßenseite und war im ersten Moment sichtlich verblüfft. Sie stieß den Kerl neben ihr mit dem Ellbogen an, sagte etwas und zeigte dabei auf mich. Ich war zu weit entfernt, um hören zu können, was sie redete, aber ihre Körpersprache schrie förmlich: He, dort drüben steht er! Und die Heftigkeit ihrer Reaktion setzte ein großes Ausrufezeichen dahinter.
Die Männer in den Anzügen blickten automatisch nach links, um nach dem Verkehr zu sehen, was darauf hindeutete, dass sie aus New York waren. Ungerade Straßen verlaufen in Ost-West-Richtung, gerade von Westen nach Osten. Das wussten sie instinktiv, deshalb stammten sie von hier. Aber sie benutzten mehr das Auto als ihre Füße, denn sie vergaßen zu kontrollieren, ob Radkuriere entgegen der Fahrtrichtung unterwegs waren. Sie rannten einfach über die Straße, wichen Autos aus, hetzten weiter, teilten sich und kamen von zwei Seiten auf mich zu, was mir bewies, dass sie gewisse Einsatzerfahrung besaßen und es eilig hatten. Sie trugen schwarze Schuhe und blaue Krawatten. Die linke Seite ihrer Jacketts war leicht ausgebeult. Rechtshändige Agenten mit Schulterhalftern. Die beiden waren Ende dreißig, Anfang vierzig. Auf dem Gipfel ihrer Leistungsfähigkeit. Keine Anfänger mehr, keine abgehalfterten Größen, die nur noch das Gnadenbrot erhielten.
Als sie bemerkten, dass ich offenbar nicht flüchten wollte, wurden sie etwas langsamer und kamen nur noch in raschem Gehtempo auf mich zu. FBI , dachte ich, mehr Cops als Paramilitärs. Sie zeigten keine Dienstausweise vor, setzten einfach voraus, dass ich wusste, wer sie waren.
»Wir müssen mit Ihnen reden«, sagte der links stehende Mann.
»Ich weiß«, entgegnete ich.
»Woher?«
»Weil Sie sich so rasch durch den Verkehr geschlängelt haben, um herzukommen.«
»Wissen Sie auch, warum?«
»Keine Ahnung. Außer Sie wollen mir nach meinem traumatischen Erlebnis professionelle Hilfe anbieten.«
Der Kerl machte ein finsteres Gesicht, als wäre er kurz davor, mich wegen meines Sarkasmus zurechtzuweisen. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck etwas, und er sagte mit humorlosem Lächeln: »Okay, ich will Ihnen einen professionellen Rat geben. Beantworten Sie uns ein paar Fragen, und vergessen Sie dann, dass Sie jemals in dieser U-Bahn waren.«
»In welcher U-Bahn?«
Der Typ wollte schon antworten, aber dann hielt er doch den Mund, weil ihm aufging, dass ich ihn auf den Arm genommen hatte.
»Welche Fragen?«, sagte ich.
»Wie lautet Ihre Telefonnummer?«, wollte er wissen.
»Ich habe kein Telefon«, antwortete ich.
»Nicht mal ein Handy?«
»Vor allem kein Handy.«
»Tatsächlich?«
»Ich bin dieser Kerl«, sagte ich. »Glückwunsch. Sie haben mich gefunden.«
»Welcher Kerl?«
»Der einzige Mensch der Welt, der kein Handy besitzt.«
»Sind Sie Kanadier?«
»Warum sollte ich Kanadier sein?«
»Von der Kriminalbeamtin wissen wir, dass Sie Französisch sprechen.«
»Viele Leute sprechen Französisch. In Europa gibt’s ein ganzes Land davon.«
»Sind Sie Franzose?«
»Meine Mutter war
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