Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Briefumschlag.
Den Umschlag adressierte ich an Major John T. Sansom, US Army, Retired und fügte Ort und Zeit hinzu. Auf das Blatt schrieb ich: Heute Morgen um zwei Uhr habe ich eine Frau mit Ihrem Namen auf den Lippen sterben sehen . Nicht ganz wahr, aber ziemlich nahe an der Wahrheit. Ich fügte hinzu: Treppe vor der Kongressbibliothek in einer Stunde . Dann unterschrieb ich mit Major Jack-ohne-Reacher, US Army, Retired. Ganz unten konnte man ein Kästchen ankreuzen. Daneben wurde gefragt: Sind Sie aus meinem Wahlkreis? Ich kreuzte das Kästchen an. Nicht ganz zu Recht, denn ich wohnte nicht in Sansoms Wahlkreis – aber auch in keinem der übrigen 434 Wahlkreise. Und ich war dreimal in North Carolina stationiert gewesen. Daraus leitete ich meine Berechtigung ab. Ich klebte den Umschlag zu, gab ihn ab und ging nach draußen, um zu warten.
21
Ich schlenderte in der Hitze auf der Independence Avenue bis zum National Air and Space Museum, machte dort kehrt und ging zur Kongressbibliothek. Nach fünfzig Minuten setzte ich mich auf die große Treppe. Der Stein war warm. Hinter den Türen über mir standen Uniformierte, aber keiner von ihnen kam heraus. Auf der Liste potenzieller Anschlagsziele in Washington musste die Bibliothek ziemlich weit unten stehen.
Ich wartete.
Ich rechnete nicht damit, dass Sansom selbst auftauchen, sondern dass er Mitarbeiter schicken würde. Vielleicht nur Wahlhelfer. Wie viele aufkreuzen und wie alt sie sein würden, ließ sich unmöglich sagen. Vermutlich ein bis vier Personen, vielleicht zwischen Jungakademiker und Profi. Ich war gespannt. Eine einzelne junge Frau würde demonstrieren, dass Sansom meine Mitteilung nicht sehr ernst nahm. Vier ältere Mitarbeiter würden beweisen, dass er die Sache nicht auf die leichte Schulter nahm und er möglicherweise vielleicht etwas zu verbergen hatte.
Nach sechzig Minuten lief mein Ultimatum ab, aber es erschienen weder Wahlhelfer noch Mitarbeiter, weder junge noch alte. Stattdessen tauchten Sansoms Frau und der Chef seines Sicherheitsdienstes auf. Zehn Minuten nach Ablauf der Stunde traf ein nicht recht zusammenpassendes Paar ein, das aus einem Lincoln Town Car stieg, am Fuß der Treppe stehen blieb und sich umschaute. Die Frau erkannte ich von den Bildern in Sansoms Buch. In natura sah sie genauso aus, wie die Frau eines Millionärs aussehen sollte. Sie war dezent sonnengebräunt und teuer frisiert, hatte eine gute Figur und war vermutlich fünf Zentimeter größer als ihr Mann. Mit hohen Absätzen zehn. Der Typ neben ihr, vermutlich ein Delta-Veteran im Anzug, war klein, wirkte aber drahtig und zäh. Derselbe Typ wie Sansom, aber nicht so glatt wie Sansom auf seinen Fotos. Sein konservativ geschnittener Anzug aus edlem Tuch wirkte ausgebeult und verknittert wie ein abgetragener Kampfanzug.
Die beiden standen nebeneinander, begutachteten die Leute in der näheren Umgebung und eliminierten eine Möglichkeit nach der anderen. Als nur noch ich übrig war, hob ich grüßend die Hand, stand aber nicht auf. Ich wartete, dass sie heraufkommen und ein paar Stufen unter mir haltmachen würden, sodass ich stehend einen Meter über ihre Köpfe hinwegsehen könnte. Weniger bedrohlich, wenn ich sitzen blieb. Einem Gespräch förderlicher und praktischer, was meinen Energieverbrauch betraf. Ich war müde.
Sie stiegen zu mir herauf, Mrs Sansom in eleganten Schuhen, mit denen sie präzise kleine Schritte machte, der Delta-Typ im gleichen Tempo neben ihr. Sie blieben zwei Stufen unter mir stehen und stellten sich vor. Mrs Sansom nannte sich Elspeth; der Mann stellte sich als Browning vor und sagte, er schreibe sich genau wie das automatische Gewehr, was vermutlich einschüchternd wirken sollte. Er war mir unbekannt. In Sansoms Buch hatte ich ihn nicht gesehen. Danach erzählte er mir praktisch seinen Lebenslauf: Militärdienst an der Seite Sansoms, dann Leiter des Sicherheitsdienstes in Sansoms Firmen und danach Sansoms Sicherheitschef in seiner Zeit als Abgeordneter – eine Aufgabe, die er in Zukunft auch für Senator Sansom übernehmen würde. Die ganze Präsentation handelte von Loyalität. Die Ehefrau und der treue Diener. Ich sollte nicht den geringsten Zweifel daran hegen, wo ihre Loyalität lag. Das war natürlich ein gewisser Overkill. Allerdings imponierte mir Sansoms Entschluss, seine Frau herzuschicken. Die meisten Skandale kommen erst richtig in Fahrt, wenn ein Kerl etwas tut, von dem seine Frau nichts weiß. Sie von Anfang an mit
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