Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
da?»
«Nein, Wendy ist immer noch in Montana.»
Tucker nimmt meine freie Hand und fängt an, einen nach dem anderen meine Knöchel zu küssen. Ich zittere und will meine Hand wegziehen, aber er lässt sie nicht los.
«Also nur Tucker», sagt Angela.
«Genau.» Ich unterdrücke ein Lachen, als Tucker einen meiner Finger in den Mund nimmt.
«Was machst du denn mit Tucker Avery?»
«Wir angeln.» Den Nachmittag haben wir damit verbracht, langsame Kreise um den See zu ziehen, uns zu küssen, uns mit Wasser zu bespritzen, Trauben und Brezeln und Truthahnsandwiches zu essen, uns noch mehr zu küssen, uns aneinanderzukuscheln und zu kitzeln, zu lachen, o ja, uns wieder ein bisschen zu küssen, aber irgendwann haben wir auf jeden Fall auch geangelt. Ich erinnere mich deutlich, irgendwann im Lauf des Tages auch mal eine Angelrute in der Hand gehalten zu haben.
«Nein», sagt Angela leise.
«Was?»
«Was machst du denn mit Tucker Avery?», fragt sie wieder, mit spitzer Stimme.
Sie ist einfach zu schlau.
Ich setze mich auf und rücke ein wenig von Tucker ab. «Es passt jetzt gerade wirklich nicht gut. Ich rufe dich zurück.»
Sie will sich nicht abwürgen lassen.
«Du vermasselst es, oder?», fragt sie. «Du verlierst dein Ziel aus den Augen, und das in einem Moment, in dem du dich besonders intensiv darauf konzentrieren und dich vorbereiten solltest. Ich fasse es nicht, dass du jetzt mit Tucker Avery rummachst. Was ist denn mit Christian? Was ist mit dem Schicksal, Clara?»
«Ich vermassele gar nichts.» Ich stehe auf und gehe vorsichtig ans andere Ende des Bootes. «Ich werde erledigen, was ich tun muss.»
«Oh, ja klar. Klingt, als hättest du alles bestens unter Kontrolle.»
«Lass mich in Ruhe. Du hast doch gar keine Ahnung.»
«Weiß deine Mutter Bescheid?»
Als ich nicht antworte, lacht sie kurz und bitter auf.
«Na, das ist ja toll», sagt sie. «Echt klasse.»
«Es ist mein Leben.»
«Ja, das stimmt. Und das vermasselst du gerade ganz gehörig.»
Ich lege einfach auf. Dann drehe ich mich um und blicke in Tuckers fragende Augen.
«Was war das denn?», fragt er leise.
Er weiß nichts von Angelas Engelblutstatus, und weil das ihres und nicht mein Geheimnis ist, steht es mir auch nicht zu, es zu verraten.
«Nichts. Bloß jemand, der eigentlich eine Freundin sein sollte.»
Er runzelt die Stirn. «Ich glaube, wir sollten los. Wir sind schon lange genug draußen.»
«Noch nicht», bitte ich.
Über uns ziehen sich Gewitterwolken zusammen. Tucker schaut zu ihnen hoch.
«Wir sollten wirklich runter vom See. Es ist jetzt die Jahreszeit, in der die Gewitter ohne Vorwarnung losbrechen. Die dauern dann zwar oft nur zwanzig Minuten, können aber echt heftig sein. Wir sollten los.»
«Nein.» Ich nehme ihn bei der Hand und ziehe ihn zum Bootsheck. Dort ziehe ich ihn runter, setze mich und kuschele mich an ihn, nehme seine Arme, lege sie um mich und begebe mich in die Geborgenheit seiner Körperwärme, seines vertrauten, tröstlichen Duftes. Ich küsse die Ader, die an seinem Hals pocht.
«Clara …»
Ich lege ihm einen Finger auf die Lippen. «Noch nicht», flüstere ich. «Lass uns einfach noch ein bisschen bleiben.»
Als mein Handy das nächste Mal klingelt, sitze ich gerade zu Hause und esse Schweinelende mit Äpfeln und Fenchel, eines von Mamas beeindruckenderen Rezepten. Es ist natürlich köstlich, aber ans Essen denke ich nicht. Auch an Angela denke ich nicht. Zwei Tage sind seit dem Anruf auf dem See vergangen, und ich gebe mir alle Mühe, das zu vergessen. Stattdessen bin ich in einen Tucker-Tagtraum versunken. Die letzten beiden Tage war er von morgens bis abends auf dem Fluss unterwegs, denn er will genug Geld verdienen, um seiner Freundin zu unserem Ein-Monats-Jubiläum, wie er sagt, ein Steak zum Abendessen spendieren zu können. Einen ganzen Monat sind wir jetzt schon zusammen, was ziemlich verrückt ist. Immer wenn er mich seine Freundin nennt, überläuft mich ein Schauer. Er wird mich zum Tanzen ausführen, mir Twostep beibringen und Line Dance und so was alles.
«Willst du nicht rangehen?», fragt meine Mutter, die mich mit hochgezogenen Augenbrauen von der anderen Seite des Esstisches her ansieht. Auch Jeffrey starrt mich an. Ich versuche, meine zerstreuten Gedanken zu sammeln, ziehe das Handy aus der Tasche und schaue drauf.
Die Nummer ist mir unbekannt. Aber die Neugier gewinnt die Oberhand, und ich gehe ran.
«Hallo», sage ich.
«He da, Fremde», sagt eine vertraute
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