Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
die Treppe runterläuft und die Tür aufmacht. Ich springe aus dem Bett und renne ins Bad, um mein Haar zu entwirren und mir die Spuren der Tränen vom Gesicht zu waschen. Ich werfe mir was über, betrachte mich im Spiegel und nehme schnell noch ein anderes Oberteil, das Flanellhemd, das Tucker so gern an mir sieht und von dem er sagt, es bringe den tiefen Ozean in meinen Augen zur Geltung. Das Hemd, das ich an dem Tag am Springbaum getragen habe. Aber schon, als ich den Türknauf in meinem Zimmer berühre, als ich in den Flur trete, weiß ich, dass da unten an der Haustür nicht Tucker steht. Denn tief innen weiß ich, dass Tucker nicht der Typ ist, der seine Meinung ändert.
Es ist Angela. Sie redet mit Jeffrey über Italien, sie lächelt. Sie sieht müde aus, aber glücklich. Beide drehen sich um, als ich die Treppe runterkomme, langsam einen Schritt vor den anderen setze. Nach unserem letzten Gespräch kann ich nicht sagen, ob ich mich freue, sie zu sehen, oder nicht.
Ihr Lächeln verblasst, als sie mich ansieht.
«Oh», haucht sie, als ob sie schockiert ist, wie schlecht ein Mensch aussehen kann.
«Ich habe vergessen, dass du diese Woche nach Hause kommst», sage ich, als ich auf der untersten Stufe stehe.
«Ja, na ja, ich freue mich auch, dich zu sehen.» Sie zieht einen Mundwinkel hoch, kommt zu mir rüber und zieht mich von der Treppe. Dann nimmt sie eine dicke Strähne meines Haars und hält sie ins Licht, das durch das Fenster hereinfällt.
«Oh», sagt sie noch einmal. Sie lacht. «Das ist so viel besser als orange, C. Du hast dich verändert. Deine Haut strahlt richtig.» Sie legt mir eine Hand auf die Stirn, als wäre ich ein krankes Kind. «Und heiß bist du. Was ist mit dir passiert?»
Ich weiß nicht, wie ich auf ihre Frage antworten soll. Als ich mich oben im Spiegel betrachtet habe, habe ich nicht gesehen, was sie jetzt offenbar sieht. Was ich gesehen habe, war nur mein gebrochenes Herz.
«Meine Aufgabe rückt näher, nehme ich an. Meine Mutter sagt, ich werde stärker.»
«Irre.» Den blanken Neid in ihrem Blick kann ich nicht einordnen. Ich bin es nicht gewohnt, dass sie mich beneidet; meist ist es umgekehrt. «Du bist wunderschön», sagt sie.
«Sie hat recht», meint Jeffrey plötzlich. «Du siehst tatsächlich wie ein Engel aus.»
Aber dass ich jetzt schön sein soll, ist mir egal. Ich fühle mich furchtbar elend. Die Tränen laufen mir übers Gesicht.
«Ach, C. …» Angela nimmt mich in die Arme und drückt mich.
«Sag jetzt bitte bloß nicht: Ich hab es dir doch gesagt.»
«Wie lange ist sie schon in dem Zustand?», fragt Angela Jeffrey.
«Ein paar Tage. Mama hat sie gezwungen, mit Tucker Schluss zu machen.»
Stimmt nicht so ganz, aber ich mache mir nicht die Mühe, ihn zu verbessern.
«Das wird schon wieder», sagt Angela zu mir. «Wir wollen dich erst mal ein bisschen hübsch machen – auch wenn deine Haut so schön schimmert, siehst du doch ein bisschen vernachlässigt aus, C. –, und dich dann ein bisschen füttern. In den nächsten Tagen werden wir zwei Mädels viel Zeit miteinander verbringen, und dann wird das schon wieder, wirst schon sehen.» Sie macht einen Schritt zurück und zeigt mir das Gesicht, das ich schon so gut an ihr kenne und das mir sagen will: Ich bin eine Engelbluthistorikerin mit aufregenden Neuigkeiten. «Ich hab dir viel zu erzählen.»
Ich denke, ich bin doch ganz froh, dass sie gekommen ist.
Als Mama aus der Stadt nach Hause kommt, findet sie Angela und mich im Wohnzimmer. Angela lackiert mir die Zehennägel in dunklem Rosa, und ich bin frisch geduscht. Meine Mutter und Angela wechseln vielsagende Blicke. Meine Mutter sagt wortlos, wie froh sie ist, dass ich endlich aus meinem Zimmer gekommen bin, und Angela sagt, dass sie alles unter Kontrolle hat. Ich fühle mich tatsächlich besser, muss ich zugeben, nicht etwa, weil Angela sonderlich gut Trost spendet, sondern weil ich um keinen Preis der Welt Schwäche vor ihr zeigen will. Sie ist immer so stark, so gewitzt, so zielstrebig. Wenn wir zusammen sind, fühle ich mich immer, als spielten wir «Pflicht oder Wahrheit»: Entweder man sagt die Wahrheit, oder man muss eine – meistens unangenehme – Aufgabe erfüllen. Im Moment sind wir bei der Aufgabe, denn sie verlangt von mir, dass ich die Jammermiene sein lasse und mich verdammt noch mal endlich wie ein echtes Engelblut verhalte. Meine Zeit als Teenager mit gebrochenem Herzen ist offiziell aus und vorbei. Das Leben geht weiter.
«Es ist
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