Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
Anziehungskraft, der Magnetismus zwischen uns, stärker als der Kummer. Den einen Tag fliegen wir in die eine Richtung davon, den nächsten Tag in die andere.
Ich habe keine Ahnung, wie ich mir das erklären soll. Angela hat die Theorie, dass die Veränderungen winzige Alternativen zur Zukunft sein könnten, jeweils auf der Grundlage einer Reihe von Entscheidungen, die ich am entsprechenden Tag treffe. Und das bringt mich zu folgenden Fragen: Wie groß ist bei dem ganzen Ereignis meine Wahl? Bin ich ein Spieler in diesem Stück oder nur eine Marionette? Ich nehme an, dass es am Ende keinen großen Unterschied machen wird. Es ist, was es ist: mein Schicksal.
An Tagen mit großer Waldbrandgefahr umkreise ich fliegend die Berge in der Nähe von Fox Creek, halte Ausschau, suche nach Anzeichen von Rauch. Nach der Richtung zu urteilen, aus der das Feuer in meiner Vision kommt, haben Angela und ich geschlossen, dass das Feuer mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in den Bergen beginnen und den Death Canyon hinunterwandern wird (Todes-Canyon, was für ein erschreckend passender Name, denke ich), bis es auf der Fox Creek Road ankommt. Also drehe ich meine Runde in einem Umkreis von zwanzig Meilen. Ich mache mir beim Fliegen keine Sorgen darüber, dass mich eventuell Menschen sehen könnten. Trotz meines von Depression und Selbstmitleid geprägten Zustands finde ich das Fliegen bei Tageslicht ziemlich cool. Ich liebe es, unter mir die Erde zu sehen, so ruhig und unberührt. Ich bin wie ein Vogel und werfe meinen langen Schatten auf die Erde. Wie gern wäre ich ein Vogel.
Ich will nicht an Tucker denken.
«Es tut mir leid, dass du im Moment so unglücklich bist», sagt Mama eines Abends zu mir, als ich lustlos durch die Fernsehkanäle zappe. Meine Schultern fühlen sich wund an. Der Kopf tut mir weh. Seit gut einer Woche habe ich schon keine anständige Mahlzeit mehr gegessen. Heute Morgen hielt Angela es für eine tolle Idee, mit einem Streichholz zu testen, ob meine Finger verbrennen; sie wollte wissen, ob ich entflammbar bin. Bin ich, wie sich herausgestellt hat. Und obwohl ich jetzt wie ein treuer, alter Gefährte alles tue, was meine Mutter von mir verlangt – was ironischerweise Angela zu verdanken ist, Gott segne sie –, steht es zwischen Mama und mir immer noch nicht zum Besten. Ich kann ihr einfach nicht verzeihen. Ich bin mir nicht ganz sicher, was genau ich ihr nicht verzeihe, aber so ist es nun mal.
«Siehst du das Ding da? Das ist so eine Art kleiner Mixer. Man kann damit Knoblauch hacken und Säuglingsnahrung zerkleinern und eine Margarita machen, und das alles zum supergünstigen Sonderpreis von neunundvierzig neunundneunzig», sage ich und sehe sie nicht an.
«Es ist zum Teil meine Schuld.»
Auf einmal hat sie meine ganze Aufmerksamkeit. Ich drehe den Fernseher leiser. «Wieso das?»
«Ich habe dich in diesem Sommer vernachlässigt. Ich habe dich alleingelassen.»
«Oh, das ist dann also deine Schuld, denn wenn du besser auf mich aufgepasst hättest, dann hättest du mich von Anfang an davon abhalten können, mich mit Tucker zu treffen. Dann hättest du auch diese lästigen Gefühle gleich im Keim erstickt.»
«Ja», sagt sie und überhört absichtlich meinen sarkastischen Unterton.
«Gute Nacht, Mama», sage ich zu ihr und drehe die Lautstärke des Fernsehers wieder hoch. Ich schalte zu den Nachrichten um. Da ist der Wetterbericht. Heiß und trocken wird es. Heftiger Wind. Waldbrandwetter. Gegen Ende der Woche hohe Wahrscheinlichkeit von Gewittern, wobei ein einzelner Blitzschlag die gesamte Gegend in Brand setzen kann. Es verspricht lustig zu werden.
«Clara», sagt Mama langsam, da sie offensichtlich mit ihrem Geständnis noch nicht am Ende ist.
«Ich hab schon verstanden», fauche ich. «Du hast ein schlechtes Gewissen. Und jetzt sollte ich lieber schlafen gehen, nur für den Fall, dass sich morgen mein Schicksal erfüllt.»
Ich mache das Fernsehen aus und werfe die Fernbedienung aufs Sofa, dann stehe ich auf und gehe an ihr vorbei zur Treppe.
«Es tut mir ja so leid, mein Schatz», sagt sie, und das so leise, dass ich nicht weiß, ob der Satz überhaupt für mich bestimmt war. «Du hast ja keine Ahnung, wie leid es mir tut.»
Ich bleibe mitten auf der Treppe stehen und drehe mich zu ihr um.
«Dann sag es mir», verlange ich. «Wenn es dir wirklich leidtut, sag es mir.»
«Was soll ich dir sagen?»
«Alles. Alles, was du weißt. Fang mit deiner Aufgabe an. Das wäre doch nett, meinst du
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