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Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Titel: Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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tief Luft und stelle mich so gerade hin, wie es mir unter dem niederdrückenden Gewicht des Gewandes möglich ist.
    Christian ist auch da. Ich sehe ihn durch das Fensterchen, er sitzt in der ersten Reihe, den Kopf hat er in die Hand gestützt.
    Christian hat ein wunderschönes Profil.
    «Und nun», sagt Angela schließlich laut, «präsentiere ich euch Ihre Majestät Königin Elisabeth I. aus dem Hause Tudor, Königin von England und Irland … Tucker, die Tür bitte.»
    Die Tür schwingt auf, und ich betrete mit so viel Grazie wie nur möglich das Klassenzimmer. Ich achte darauf, nur ja nicht über das üppig fallende Kleid zu stolpern, schwebe nach vorn in die Klasse und stelle mich neben Angela. Die Klasse scheint kollektiv den Atem anzuhalten.
    Natürlich konnten wir von den Elisabeth-Porträts, die wir im Internet gefunden haben, keines der tatsächlichen Gewänder komplett originalgetreu nacharbeiten – bestickt mit Smaragden und Rubinen und aus Metern über Metern kostbarer Stoffe, aber Angelas Mutter ist eine verblüffende Nachahmung gelungen. Das Gewand ist in einem dunklen Goldton gehalten, mit einem silberfarbenen Brokatmuster, und es gibt ein Unterkleid aus weißer Seide, das an den Ärmeln hervorschaut. Mit heißem Wachskleber haben wir falsche Perlen und Glassteine an allen Säumen und Ausschnitten befestigt. Das Korsett schnürt meinen Oberkörper zu einem kleinen Dreieck, der Rock fällt weit schwingend auf den Boden. Die Krause an Hals und Handgelenken besteht aus gesteifter weißer Spitze, die ebenfalls mit unechten Perlen verziert ist. Die Krönung des Ganzen ist mein Gesicht, weiß geschminkt, etwas, das Reinheit symbolisieren soll, dazu rote Lippen. Angela hat mir das Haar in der Mitte gescheitelt und auf dem Hinterkopf zu einem kompliziert geflochtenen Knoten aufgesteckt, dann hat sie mir ein kleines Krönchen aufgesetzt, das aus Drahtgeflecht und falschen Perlen besteht und von dem eine winzige Perle genau in der Mitte über meiner Stirn hängt. Am Rückenteil des Kleides hängt ein langes Stück weißer Samt wie der Schleier einer Braut.
    Die Klasse starrt mich an, als wäre ich die echte, durch die Zeit gereiste Königin Elisabeth. Plötzlich komme ich mir schön und mächtig vor, als würde das Blut von Königen durch meine Adern laufen. Jetzt bin ich kein Bozo mehr.
    «Königin Mary ist tot», verkündet Angela. «Lang lebe Königin Elisabeth.»
    Jetzt bin ich dran. Ich mache die Augen zu, hole so tief Luft, wie das Korsett es mir erlaubt, dann hebe ich den Kopf und schaue auf die Klasse, als wären alle jetzt meine loyalen Untertanen.
    «Ehrenwerte Lords, die Gesetze der Natur rühren mich zu Trauer um meine Schwester», sage ich mit meinem schönsten britischen Akzent. «Die Last, die auf meine Schultern fiel, erweckt in mir große Ehrfurcht, und doch werde ich mich, eingedenk der Tatsache, dass ich Gottes Geschöpf bin und also verpflichtet, Gottes Gebot zu folgen, meinem Schicksal fügen und aus tiefstem Herzen darum beten, es möge mir die Unterstützung seiner Gnade zuteil werden, auf dass ich in diesem, mir nun übertragenen Amte die Dienerin seines himmlischen Willens werde sein können.»
    Stille in der Klasse. Ich schaue zu Christian, der mich ansieht, als wäre er mir nie zuvor begegnet. Unsere Blicke treffen sich. Er lächelt.
    Plötzlich steigt mir die leise Ahnung von Rauch in die Nase.
    Nicht jetzt, denke ich, als wäre die Vision eine Person, der ich etwas befehlen kann. Die nächste Zeile meiner Rede verflüchtigt sich. Nun sehe ich die Umrisse von Bäumen.
    Bitte, sage ich in Gedanken verzweifelt zu der Vision. Geh weg.
    Zwecklos. Ich bin mit Christian im Wald. Ich schaue in seine goldgesprenkelten Augen. Diesmal ist er mir so nah, dass ich seinen herrlich männlichen Duft wahrnehme. Ich strecke die Hand aus und berühre ihn. Ich will es so. Ich glaube, noch nie zuvor in meinem Leben wollte ich etwas so sehr. Aber ich spüre, wie der Kummer in mir wächst, ein Leid, so kraftvoll und schmerzlich, dass mir auf der Stelle Tränen in die Augen schießen. Dieses Leid hatte ich beinahe vergessen. Ich senke den Kopf, und in dem Augenblick sehe ich, dass er meine Hand hält, Christians lange Finger haben sich um meine Finger gelegt. Mit dem Daumen reibt er über die Knöchel meiner Hand. Zutiefst erschrocken halte ich die Luft an.
    Was mag das bedeuten?
    Ich schaue auf. Ich bin wieder im Klassenzimmer, starre Christian an. Jemand kichert. Alle sehen erwartungsvoll auf mich. Ich

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