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Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Titel: Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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schließlich erkenne – Danny Boy , das Wendy beim Frühjahrschorkonzert gesungen hat. Sein Pfeifen klingt angenehm und volltönend, die Melodie hält er perfekt.
    Wir biegen auf die Landstraße Richtung Schule ab.
    «Wo fahren wir hin?», frage ich ihn.
    «Hoback.» Das Wort habe ich in der Schule gehört und es auf Schildern an der Landstraße gesehen. Es gibt einen Hoback Canyon, einen Hoback-Pass, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, und eine Hoback-Kreuzung. Was davon unser Ziel ist, weiß ich nicht. Wir fahren an der Schule vorbei und dann etwa anderthalb Stunden die Landstraße runter, dorthin, wo keine Häuser mehr stehen und wir nur noch Berge und Wald sehen. Plötzlich sind wir in einer winzigen Ortschaft namens Hoback. Direkt hinter dem Hoback-Gemischtwarenladen gabelt sich die Straße. Tucker nimmt die Straße links, dann fahren wir den Berg hinauf, und zu unserer Rechten fließt ein grüner Fluss.
    «Ist das der Snake River?», frage ich. Weil das Fenster noch unten ist, weht die Luft herein, als der Wagen an Tempo zulegt. Ich ziehe den Arm rein.
    «Nein», antwortet er. «Das ist der Hoback.»
    Ich rieche den Fluss, die kleineren Kiefern, die sich an den Hang schmiegen, und die Salbeibüsche, die zu beiden Seiten die Straße säumen.
    «Den Geruch von Salbei mag ich gern», sage ich und hole tief Luft.
    Tucker schnaubt verächtlich. «Salbei ist ein zähes Gewächs. Wie ein Lauffeuer breitet es sich über die Landschaft aus, saugt alles Wasser auf, alle Nährstoffe aus dem Boden, bis alles andere stirbt. Es ist eine robuste kleine Pflanze, das muss ich ihr lassen. Aber sie ist grau und hässlich, und außerdem ist sie das bevorzugte Versteck von Zecken. Hast du je eine Zecke gesehen?» Er schaut zu mir rüber. In meinem Gesichtsausdruck muss sich so was wie Entsetzen spiegeln, denn auf einmal räuspert er sich voller Unbehagen und sagt leise: «Aber Salbei riecht wirklich angenehm.»
    Dann biegt er von der Straße ab, runter auf eine grasbewachsene Ausweichstelle.
    «Wir sind da», sagt er und dreht sich zu mir um.
    Wir haben an einem verwitterten Holzzaun gehalten, direkt neben einem Schild mit der Aufschrift Privatbesitz. Wer sich unbefugt Zutritt verschafft, wird erschossen . Mit bedeutungsvollem Verschwörerblick zieht Tucker die Augenbrauen hoch. Er klettert durch eine Lücke im Zaun und hält mir die Hand hin. Ich ergreife sie. Tucker zieht mich durch die Latten hindurch. Und auf der anderen Seite stelle ich fest, dass hier der Hügel steil zum Fluss hin abfällt. Überall im Gebüsch verstreut liegen Bierdosen. Tucker hält weiter meine Hand und macht sich an den Abstieg auf einem Pfad, der sich auf einen riesigen Baum direkt am Flussufer zuwindet. Auf einmal bin ich dankbar für die robusten Wanderstiefel.
    Unten angekommen, legt Tucker sein Handtuch an die Wurzel des mächtigen Baumes und fängt an, sich auszuziehen. Ich drehe mich weg, dann beginne ich, langsam mein Flanellhemd aufzuknöpfen. Der Bikini ist wirklich niedlich, rede ich mir ein. Und prüde bin ich auch nicht. Ich hole tief Luft und lasse das Hemd von meinen Schultern gleiten, dann entledige ich mich der Jeans und der Stiefel. Ich drehe mich wieder zu Tucker um. Zu meiner großen Erleichterung betrachtet er den Fluss, statt meinen Körper von oben bis unten zu mustern. Seine rotschwarze Badehose reicht ihm bis zu den Knien. Er ist am ganzen Körper sonnengebräunt. Schnell schaue ich wieder weg und lege meine Kleider und mein Badetuch neben seine Sachen.
    «Und was jetzt?», frage ich.
    «Jetzt klettern wir auf den Baum.»
    Ich schaue hoch in das Geäst, das sich leicht im Wind wiegt. An den Baumstamm sind einige Bretter genagelt und bilden eine Art Leiter, und von einem der größten Äste, der bis weit über das Wasser hinausreicht, hängt ein langes schwarzes Seil hinunter.
    Von dem Seil werden wir abspringen, in den Fluss rein.
    Noch einmal gucke ich auf den Fluss, der schrecklich tief und reißend aussieht.
    «Hast du vor, mich an meinem Geburtstag umzubringen?», frage ich witzelnd, in der Hoffnung, dass er das Aufblitzen von Angst in meinen Augen nicht sieht. Engelblutwesen können ertrinken. Wir brauchen Sauerstoff wie normale Menschen auch, auch wenn wir länger die Luft anhalten können.
    Sein Grübchen kommt zum Vorschein.
    «Ich sollte es dir wohl erst mal zeigen, was?»
    Ohne ein weiteres Wort klettert Tucker so behände auf den Baum, als ob er das schon tausendmal gemacht hätte, was mich ein bisschen beruhigt.

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