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Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Titel: Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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Als er die höheren Äste erreicht, kann ich ihn kaum noch sehen, nur noch hier und da einen flüchtigen Blick auf seine sonnengebräunten Beine oder auf seine Haare erhaschen, die zwischen dem Laub und der Sonne hervorblitzen. Dann ist er völlig verschwunden, bis auf einmal das Seil ruckartig hin und her schwingt.
    «Komm rauf», verlangt er. «Hier ist Platz für zwei.»
    Unbeholfen klettere ich den Baum hinauf. Dabei schaffe ich es, mir das Knie aufzuschrammen und mir einen Splitter tief in die Handfläche zu reißen, aber ich beklage mich nicht. Dass Tucker Avery mich für ein weinerliches kleines Kind hält, will ich nun wirklich nicht. Tuckers Hand taucht vor meinem Gesicht auf, ich ergreife sie, und er hievt mich hoch auf einen der höchsten Äste.
    Wir können weit auf den Fluss hinausblicken, und ich halte Ausschau nach einer Stelle, an der er flacher oder langsamer wird, aber solch eine Stelle gibt es nicht. Tucker neben mir packt das Seil, das elastisch wie ein Bungee-Seil zu sein scheint. Er reckt das Gesicht der Sonne entgegen und schließt einen Moment lang die Augen.
    «Das hier wird das ‹Solarium› genannt», erklärt er mir.
    «Das hier? Der Platz, an dem wir stehen? Der Baumwipfel?»
    «Ja.» Er öffnet die Augen wieder. Ich bin ihm so nah, dass ich erkenne, wie sich seine Pupillen im Licht zusammenziehen.
    «Schon seit Generationen kommen die Schüler hierher zum Schwimmen», sagt er.
    «Daher auch das Schild von wegen Privatbesitz», erwidere ich und drehe mich Richtung Straße um.
    «Ich glaube, der Eigentümer lebt in Kalifornien», sagt Tucker trocken.
    «Hurra, was für ein Glück. Ich werde also doch nicht an meinem siebzehnten Geburtstag erschossen.»
    «Nein, wirst du nicht.» Tucker packt noch einmal fest das Seil. Er beugt die Knie. «Du wirst bloß nass», sagt er und springt vom Baum.
    Das Seil schwingt schräg über das Wasser hinaus. Tucker lässt los und brüllt, als er ins Wasser eintaucht.
    Als das Seil zurückschwingt, strecke ich die Hand aus, um es zu fassen. Gar nicht so einfach: Mehrmals entgleitet es meinen Händen. Dann schaue ich runter zu der Stelle, an der Tuckers Kopf im Wasser auftaucht. Er guckt zu mir hoch und winkt, während er flussabwärts getrieben wird.
    «Komm schon!», ruft er. «Es wird dir gefallen.»
    Ich hole tief Luft, packe das Seil noch fester mit den Händen und springe.
    Verblüffend, der Unterschied zwischen Fallen und Fliegen, und ich habe mit beidem viel Erfahrung. Das Seil schwingt über den Fluss und streckt sich unter meinem Gewicht. Ich beiße die Zähne zusammen und gebe mir Mühe, die Flügel zurückzuhalten; das Bedürfnis zu fliegen ist fast übermächtig. Dann schreie ich und lasse los, denn ich weiß, wenn ich das Seil nicht loslasse, werde ich an den Baum krachen.
    Das Wasser ist so kalt, dass mir auf der Stelle die Luft wegbleibt. Prustend komme ich an die Oberfläche. Im ersten Moment habe ich keine Ahnung, was ich machen soll. Ich bin eine gute, aber keine großartige Schwimmerin. Bisher bin ich meist in Swimmingpools und entlang der Strände des Pazifiks geschwommen. Nichts hat mich darauf vorbereitet, wie der Fluss mich packt und in die eine und andere Richtung zieht. Noch einmal schlucke ich einen Schwall Flusswasser. Es schmeckt nach Schmutz und Eis und etwas, das ich nicht benennen kann, etwas Metallischem. Spuckend tauche ich wieder auf, dann schwimme ich mit aller Kraft Richtung Ufer, ehe ich noch weitertreibe und keine Menschenseele mehr etwas von mir zu sehen bekommt. Tucker entdecke ich nirgends. Panik steigt in mir auf. Ich sehe schon die Nachrichten vor mir, sehe Mamas verstörtes Gesicht und Angelas und vor allem Wendys, wenn sie begreift, dass sie an allem schuld ist.
    Ein Arm packt mich um die Taille. Ich drehe mich um und stoße mit meinem Kopf beinahe gegen Tuckers. Er umfasst mich fester und schiebt uns kraftvoll ans Ufer. Er ist ein sehr guter Schwimmer. Seine kräftigen Armmuskeln sind dabei eine große Hilfe. Ich kann nichts anderes tun, als mich an seine Schultern zu hängen und mit den Beinen in die richtige Richtung zu strampeln. In null Komma nichts liegen wir keuchend auf dem sandigen Flussufer. Ich lasse mich auf den Rücken fallen und sehe eine flauschige weiße Wolke über uns vorbeiziehen.
    «Also», sagt Tucker schlicht. «Du hast ganz schön viel Mut.»
    Wütend funkele ich ihn an. Wasser tropft ihm aus dem Haar, seinen Hals hinunter, und dann zwinge ich meinen Blick wieder rauf zu seinen Augen, die

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