Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
anzieht, eine Krawatte trägt und sich gerade ein bisschen die Haare kämmt, dann sieht er aus wie ein Filmstar.
«Alle sehen dich an», flüstere ich, als wir durch die Halle gehen und ein paar Mädchen sich umdrehen und uns anstarren.
«Ach wo», sagt er. «Die sehen dich an. Das ist wirklich ein sensationelles Kleid.»
Wir tanzen. Tucker ist kein großer Tänzer, aber was ihm an Talent fehlt, gleicht er mit Humor aus. Die ganze Zeit bringt er mich zum Lachen. Einmal versucht er, mir den Twostep beizubringen, dann etwas Schwungvolles im Western Style. Schließlich setzt eine langsame Melodie ein, und ich lege ihm die Hand auf die Schulter und versuche, den Moment zu genießen, als ob es nur ihn und mich gäbe, keine Sorgen, keine Arbeit, keine bevorstehenden Katastrophen und auch keinerlei Zukunftspläne.
Ich spüre, dass Christian mich beobachtet, noch ehe ich ihn sehe. Am anderen Ende der Tanzfläche tanzt er mit Ava Peters. Ich hebe den Kopf, schaue über Tuckers Schulter und sehe, wie er Ava geschickt durch die Menge steuert. Ava lacht ihn an, sagt etwas schüchtern Mädchenhaftes und wirft ihm durch ihre falschen Wimpern verführerische Blicke zu.
Ich lege die Wange wieder an Tuckers Schulter, schließe die Augen. Aber als ich sie wieder aufmache, halte ich immer noch automatisch Ausschau nach Christian, und als ich ihn entdecke, sieht er mich direkt an, sucht meinen Blick und lässt ihn nicht mehr los.
Tanzt du mit mir, Clara? , fragt er. Nur ein Mal heute Abend?
Ehe ich antworten kann, macht Tucker einen Schritt zurück. Er hebt meine Hand an seinen Mund und küsst sie, bedankt sich bei mir für den Tanz. Ich lächle ihn an.
«Komm, wir holen uns was zu trinken», sagt er. «Es ist heiß hier drin.»
Ich lasse mich von ihm zum Punschgefäß führen, und er füllt mir ein Glas. Eine Weile stehen wir bei der Tür, die kühle Luft spült über uns hinweg.
«Gefällt es dir hier?», fragt er.
«Und wie.» Ich lächle. «Aber ich überlege die ganze Zeit, wo deine anderen Begleiterinnen sind.»
«Meine anderen Begleiterinnen?»
«Wenn ich mich recht erinnere, hast du letztes Jahr drei Mädchen zum Abschlussball geführt. Wohin ist denn Miss Allison Lowell verschwunden?»
«Dieses Jahr habe ich nur Augen für dich.»
«Gute Antwort.» Ich lege ihm die Arme um den Hals und küsse ihn.
«Na, na, na, Leute», sagt Mr Phibbs und räuspert sich.
Aha, der Aufpasser. Mein Blick sollte ihm eigentlich sagen, dass ich in Ruhe gelassen werden will.
«Keuschheit ist eine Tugend», flötet er.
«Ja, Sir», sagt Tucker und nickt respektvoll. Mr Phibbs erwidert das Nicken und macht sich auf die Suche nach dem Glück eines anderen Paares, das er stören kann.
Ich schlüpfe in den Waschraum, um mir die Nase zu pudern, und treffe auf Kay Patterson. Beifällig mustert sie ihr Spiegelbild und schminkt sich die Lippen nach. Sie sieht hinreißend aus in ihrem langen, schwarzen meerjungfernartigen Kleid, an dem überall Glitzersteine funkeln.
«Tut mir leid, das mit deiner Mutter», sagt sie.
Im Spiegel schaue ich ihr in die großen braunen Augen. Ich glaube, sie hat seit letztem Jahr kein Wort mit mir gesprochen, seit damals, als sie und Christian sich getrennt hatten.
«Äh, danke.»
«Mein Vater ist an Darmkrebs gestorben», sagt sie tonlos. «Ich war damals erst drei Jahre alt. Ich erinnere mich nicht mal mehr daran.»
«Oh, das tut mir leid. Ich hatte ja keine Ahnung.»
Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll, also wasche ich mir am Waschbecken neben ihr die Hände. Sie ist fertig mit der Vollendung ihres bereits vollendeten Gesichts und steckt den Lippenstift wieder in ihre Tasche. Aber dann steht sie einfach da und sieht mich an. Ich wappne mich gegen eine Beleidigung.
«Die meisten Leute wissen nichts davon. Ich habe einen Stiefvater, und alle nehmen an, er wäre mein Vater.»
Ich nicke; ich weiß nicht, weshalb sie mir das erzählt, und dann schaue ich zur Tür.
«Na jedenfalls», fährt Kay fort, «wollte ich dir nur sagen, wie leid es mir tut. Wenn dir das was bedeutet.»
Leise bedanke ich mich noch einmal und wedele mit der Hand vor dem Papiertuchspender in dem Versuch, den Infrarotmechanismus in Gang zu setzen, der das Papier ausspuckt. Es tut sich nichts. Kay reicht mir ein Papiertuch von einem Stapel auf der Ablage.
«Christian macht sich Sorgen um dich», sagt sie. «Das spüre ich. Er hat auch seine Mutter verloren, damals war er noch sehr jung. Das war eines der ersten Dinge,
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