Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
schon auf der Treppe ist, um nachzusehen, was es mit dem Lärm auf sich hat. Wenn sie überhaupt noch die Kraft hat, die Treppe raufzukommen. Ich habe keine Ahnung, was sie tun würde, oder, schlimmer noch, was das Ganze ihr antun würde. Denn das hier ist übler als alles, wofür sie je eine Strafe verhängen musste. Auf diese Art Benehmen steht mindestens ein Jahr Hausarrest.
Jeffrey lacht immer noch, als ob er die ganze Situation unglaublich komisch findet. Ich packe ihn am Ohr. Er jault auf, aber er hat keine Chance, mich abzuwehren. Ich zerre ihn zu seinem Bett und stoße ihn bäuchlings darauf. Dann kümmere ich mich um seine Flügel, versuche, sie zusammenzufalten, sie gegen seinen Rücken zu pressen. Ich wünschte, es gäbe ein Zauberwort auf Engellisch, das sie sofort verschwinden lässt, denn verschwinden müssen sie irgendwie, damit er keinen weiteren Schaden anrichtet.
Jeffrey sagt etwas mit dem Gesicht im Kissen.
«Ich verstehe kein Wort, du Idiot», erwidere ich.
Er dreht den Kopf. «Lass mich in Ruhe.»
«Wenn du meinst», brummele ich und versuche weiter, seine Flügel zu glätten. «Wo ist dein Hemd? Wie bist du überhaupt so nass geworden?»
Da erst fallen mir seine grauen Federn auf. Seine Flügel sind heller, als ich sie von der Waldbrandnacht her in Erinnerung habe. Da waren sie dunkelgrau, vom Ruß, wie ich gehofft hatte. Auch meine Flügel waren in der Nacht rußverschmutzt, sind aber inzwischen wieder weiß. Jeffreys Flügel sind immer noch grau. Taubengrau, würde ich es nennen. Und an der Rückseite des einen Flügels haben ein paar Federn die Farbe von Teer.
«Deine Federn …» Ich beuge mich weiter runter, um sie mir genauer anzusehen.
Genau diesen Moment wählt Jeffrey, um sich in Erinnerung zu rufen, wie man die Flügel einzieht. Unbeholfen falle ich auf ihn, dann rappele ich mich wieder auf. Er lacht.
«Wart nur ab, du kannst dich auf was gefasst machen», sage ich wütend.
Er rollt sich auf den Rücken und sieht mich mit einem derart bösen Gesichtsausdruck an, dass mir ein kalter Schauer den Rücken herunterläuft. Sein Blick ist hasserfüllt.
«Was? Wirst du es Mama erzählen?»
«Das sollte ich eigentlich», stottere ich.
«Nur zu», faucht er. «Denn du schleichst dich ja nie heimlich raus, was? Erzähl es Mama ruhig. Mir ist es recht. Wirst schon sehen, was dann passiert.»
Er setzt sich auf. Immer noch funkelt er mich wütend an, als wollte er sich gleich auf mich stürzen. Ich gehe ein paar Schritte zurück.
«Du denkst doch immer nur an dich», sagt er. «Deine Vision. Deine blöden Träume. Deinen doofen Freund.»
«Das stimmt doch nicht», sage ich zittrig.
«Du bist hier nicht der Einzige, der zählt, weißt du. Du bist nicht die Einzige mit einer Aufgabe.»
«Ich weiß …»
«Lass mich einfach in Ruhe.» Er lächelt, ein hartes, ironisches Blecken der Zähne. «Lass mich, verdammt noch mal, in Ruhe.»
Ich verlasse sein Zimmer. Mühsam kämpfe ich den Drang zu schreien nieder. Am liebsten würde ich runterlaufen, Mama aufwecken und sie holen, damit sie alles wieder in Ordnung bringt. Stattdessen gehe ich zum Wäscheschrank. Ich hole ein Handtuch. Dann gehe ich wieder in Jeffreys Zimmer und werfe ihm das Handtuch hin. Es landet auf seiner Brust. Erschrocken sieht er zu mir auf.
«Ich weiß, dein Leben ist scheiße», erkläre ich ihm. «Meines ist auch nicht gerade ein einziges rauschendes Fest.» Mein Herz pocht heftig, aber ich versuche, mich cool und gelassen zu geben. «Diesmal werde ich Mama nichts sagen. Aber eines schwöre ich dir, Jeffrey, wenn du dich nicht zusammenreißt, wird es dir noch leidtun. Ziehst du noch mal so eine Show ab, wird das, was Mama mit dir anstellt, noch deine geringste Sorge sein.»
Dann marschiere ich schnell aus seinem Zimmer, ehe er mich weinen sieht.
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Ein denkwürdiger Abgang
«Du siehst reizend aus, Clara», sagt Billy, als ich in meinem Abschlussballkleid in Mamas Schlafzimmer komme. Nur ihr zuliebe wirbele ich herum, und die Lagen meines Ballkleids aus roter Seide bauschen sich um meine Beine herum auf. Das Kleid ist ziemlich extravagant. Abgesehen davon, dass es ein kleines Vermögen gekostet hat, aber als Angela, Billy und ich es vergangene Woche im Einkaufszentrum von Idaho Falls entdeckten, hatte ich den Eindruck, dass es mir zurief: «Trag mich.» Dann sagte Billy so was wie: Ach, zum Henker, es ist dein Abschlussball, und dazu gehört ein denkwürdiger Abgang. Das Thema des
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