Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
Kommt, wir machen das noch mal. Versuch es diesmal mit mir», drängt Angela Christian.
«Ich glaube, das kann ich nicht.»
«Ach, komm schon, ich will das auch lernen. O bitte, bitte!», bettelt sie.
Er lässt den Kopf sinken, seufzt und gibt nach. «Na gut! Wir können es ja mal versuchen.»
Das könnte spannend werden. Ich setze mich auf Angelas Stuhl, und die beiden marschieren auf die Bühne, halten sich an den Händen, konzentrieren sich.
«Sei in der Gegenwart», sagt Christian wieder. «Das ist der Schlüssel. Nicht mit dem, was du jetzt im Moment gerade denkst, sondern ohne an etwas zu denken. Das wird dir nicht leichtfallen, denn du denkst einfach zu viel. Sei dir bewusst, dass du nicht identisch mit deinen Gedanken bist.»
«Okay, großer Meister, auf geht’s», krächzt sie.
Beide schließen die Augen. Ich beuge mich vor, sehe zu, warte auf den Glanz und versuche, nicht neidisch zu sein, weil Angela da oben ist und nicht ich. Aber nichts passiert. Sie stehen einfach nur da, als wären sie irgendwo außerhalb der Zeit.
«So was will ich hier nicht haben!», ist Annas Stimme aus dem Vorraum zu hören. Sie traut sich wohl nicht mehr herein.
Angela und Christian lassen die Hände sinken, öffnen die Augen. Einen Moment lang wirkt Angela enttäuscht, aber dann legt sich ein schelmisches Lächeln auf ihr Gesicht.
«Das war echt scharf», sagt sie. Sie dreht sich um, hebt eine Augenbraue und sieht mich an. «Ist doch so, oder, Clara?»
«Äh …»
«Ich glaube, du wolltest mir auch was erzählen», schnurrt sie Christian an. Natürlich stimmt es nicht, und er weiß das. Sie hat mir mal erzählt, dass sie und Christian in der neunten Klasse Flaschendrehen gespielt haben und dass sie dachte, ihn zu küssen ist wie einen Bruder zu küssen.
«O ja», antwortet er mit ausdrucksloser Stimme, «das war echt scharf, Ange. Du bist meine Traumfrau. Das wollte ich dir schon immer mal sagen.»
«So was will ich hier nicht haben!», ruft Anna Zerbino wieder.
Wir brechen alle in schallendes Gelächter aus.
Mitten in der Nacht weckt mich ein lautes Geräusch. Einen Moment bleibe ich im Bett liegen und horche, unsicher, ob ich wirklich etwas gehört habe. Ich habe das Gefühl, gerade aus einem Albtraum erwacht zu sein. Ich gucke auf den Wecker. Vier Uhr morgens. Das Haus ist vollkommen still. Ich schließe die Augen wieder.
Heftiges Poltern. Ich setze mich im Bett auf. Die einzige Waffe, die ich um diese Uhrzeit finde, ist eine Dose Haarspray, als ob ich damit etwas gegen Samjeeza ausrichten könnte, sollte er es sein.
Unbedingt erledigen: ein paar effektive Waffen besorgen.
Ein erneutes Poltern dröhnt durchs Haus, dann ein lauter Fluch, das Geräusch von zerbrechendem Glas.
Der Lärm kommt aus Jeffreys Zimmer.
Ich werfe mir meinen Morgenmantel über und laufe den Flur hinunter. Ein weiteres lautes Krachen. Er wird noch Mama aufwecken, wenn er das nicht schon getan hat. Ich öffne die Tür zu seinem Zimmer.
«Was veranstaltest du da?», rufe ich verärgert ins Dunkle hinein.
Entschieden mache ich das Licht an.
Jeffrey steht nur mit seinen Jeans bekleidet und mit deutlich sichtbaren Flügeln mitten im Zimmer. Überrascht kreischt er auf, als das Licht angeht, dann schwingt er herum und hält sich die Hand vor Augen, als hätte ich ihn geblendet. Seine Flügel streifen einen Stapel Bücher auf seinem Schreibtisch, die krachend auf dem Fußboden landen. Er ist klatschnass, sein Haar klebt ihm im Gesicht, unter ihm auf dem Parkettboden bildet sich eine Pfütze. Und er lacht.
«Ich weiß nicht mehr, wie man die Flügel wieder einzieht», sagt er und findet das offenbar zum Brüllen komisch.
Hinter ihm sehe ich das offen stehende Fenster und die völlig verhedderte Jalousie, die an einer Seite schlaff herunterhängt.
«Bist du gerade erst nach Hause gekommen?», frage ich.
«Nein», sagt er und grinst. «Ich bin ganz früh ins Bett gegangen. Ich war die ganze Nacht hier.»
Er macht einen Schritt auf mich zu und stolpert. Ich packe ihn am Arm, damit er das Gleichgewicht nicht verliert. Genau in dem Moment lacht er mir ins Gesicht, und ich komme in den Genuss der vollen, ekligen Wucht seines Atems.
«Du bist betrunken», flüstere ich verblüfft.
«Aber ich bin nicht Auto gefahren», meint er.
Das ist echt übel.
Einen Moment lang stehe ich da, halte mich an ihm fest und versuche, um vier Uhr in der Früh mein Gehirn zum Funktionieren zu bringen. Ich könnte Mama holen gehen, falls sie nicht sowieso
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