Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
Häufchen Asche verwandeln wird.
Als sie außer Sichtweite ist, drehe ich mich zu Jeffrey um, der bereits wieder nach dem Wischlappen greift. «Jeffrey. Jeffrey! Sieh mich an. Hör zu. Wir sind in der Hölle. Wir müssen gehen, und zwar jetzt sofort, dann erreichen wir noch einen Zug, der uns hier rausbringt.»
Er schüttelt den Kopf. «Ich hab dir doch gesagt, ich muss arbeiten. Ich kann nicht weg.» Er geht zu einem anderen Tisch und räumt das Geschirr ab.
«Das hier ist nicht das Lokal, in dem du arbeitest», sage ich und achte darauf, dass meine Stimme ruhig bleibt. «Das hier ist die Hölle. Der Hades. Die Unterwelt. Es sieht aus wie die Pizzeria, aber sie ist es nicht. Es ist nur eine Spiegelung von dem, was es auf der Erde gibt. Das ist keine richtige Pizza, siehst du?» Ich gehe zu einem Tisch und nehme ein Stück unechte Pizza von einem Teller, halte es Jeffrey vors Gesicht. Es ist wie ein Stückchen durchweichte Pappe, grau und substanzlos, und in meiner Hand löst es sich auf. «Das ist nicht echt. Nichts ist echt hier. Nichts ist real. Wir sind hier in der Hölle .»
«So etwas wie die Hölle gibt es nicht», flüstert er, den Blick auf das sich auflösende Stück Pizza gerichtet. Er scheint vage beunruhigt. «Das ist bloß etwas, was die Kirche erfunden hat, um uns Angst zu machen.»
«Hat Lucy dir das erzählt?»
Er antwortet nicht, aber ich sehe es in seinen Augen, den aufkommenden Zweifel. «Ich weiß nicht mehr.»
«Komm mit. Wir nehmen den Zug, und alles wird sich klären. Versprochen.»
Er wehrt sich, als ich ihn am Arm ziehe. «Lucy hat gesagt, sie ist gleich wieder zurück. Sie hat gesagt, sie wird alles erklären.»
«Da gibt es nichts zu erklären», sage ich zu Jeffrey. «Es ist ganz einfach. Wir sind in der Hölle. Und wir müssen hier raus. Lucy ist ein Schwarzflügel, Jeffrey. Sie hat dich hierhergebracht.»
Er schüttelt den Kopf, sein Kiefer spannt sich an. «Nein. Das ist nicht möglich.»
Christian geht an der Tür auf und ab, er will nicht länger warten. Du musst jetzt kommen.
Ich drehe mich zu Jeffrey um. «Los, komm schon, Jeffrey. Vertrau mir. Ich bin deine Schwester. Ich bin die einzige Verwandte, die du hast. Wir müssen zusammenhalten. Das hat Mom zu uns gesagt, weißt du noch? Tu es für mich.»
Seine silbrig glänzenden Augen werden traurig, und hinter meiner immer mehr bröckelnden Mauer spüre ich, wie sehr ihn alles verletzt hat, was passiert ist: die unerklärliche Vision und sein Versagen bei ihrer Umsetzung, die Tatsache, dass alles immer um mich ging und nie um ihn, dass Dad uns verlassen hat, dass Mom gestorben ist und ihn mit so viel unbeantworteten Fragen zurückließ, dass sich alles vor seinen Augen in Asche verwandelte. Alle sind fort, und keiner ist mehr da für ihn, außer Lucy, und er weiß, dass etwas an ihr seltsam ist, und er fürchtet, dass es an ihm liegt, daran, dass er nicht der Mensch ist, der er sein soll, aber er will sie nicht auch noch verlieren. Wer bin ich? , denkt er. Wieso bin ich hier? Weshalb tut alles ständig so weh? Wieso wird es nie, aber auch wirklich nie, irgendwie einfacher?
Und er wünscht, es würde einfach nur aufhören.
Er wünscht, er wäre tot.
«Ach, Jeffrey», stöhne ich. «Denk das doch nicht.» Ich lege meine Arme um ihn, das Herz schlägt mir bis zum Hals. «Ich liebe dich, ich liebe dich», sage ich wieder und immer wieder. «Und Mom liebt dich, und Dad liebt dich, wirklich; wir alle lieben dich, du Dummkopf. Also denk so was nicht.»
«Mom ist tot. Dad ist weg. Du bist beschäftigt», sagt er tonlos.
«Nein.» Ich trete zurück und schaue ihm in die Augen, Tränen strömen über mein Gesicht. Ich lege ihm eine Hand auf die Wange, wie ich es auch schon bei Samjeeza gemacht habe, und lasse die Erinnerung an Mom auf dem Buzzards Roost an diesem Nachmittag in ihn fließen, in der Hoffnung, dass er sie aufnehmen kann. Dabei konzentriere ich mich auf den Moment, als ich ihr von Jeffrey erzählt habe und wie glücklich sie nur schon beim Gedanken an ihn war. Dann zeige ich ihm den Himmel. Mom, die in das ferne Licht geht. Die Wärme des Lichts. Den Frieden. Die dauerhaften Spuren der Liebe überall an ihr.
«Siehst du das? Das ist real», flüstere ich.
Er starrt mich an, in seinen Augen schimmern Tränen.
«Lass uns heimgehen», sage ich.
«Okay.» Er nickt. «Okay.»
Erleichtert atme ich auf. Wir gehen Richtung Tür. Christian wippt auf den Fußballen unruhig auf und ab und sieht sich immer wieder um,
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