Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
sein Leben. Diese ganzen Jahre, hab ich gedacht.» Sie hebt den Kopf, sieht mich an. «Aber du hast mich zurückgebracht.»
Mir war durchaus klar, dass die Zeit in der Hölle anders funktioniert, aber das hatte ich nicht erwartet. Angela war gerade einmal zehn Tage fort gewesen, als wir beschlossen hatten, sie zu suchen, aber ihr kommt es so vor, als seien Jahre vergangen.
Viele Jahre.
Sie schwankt, und Christian und ich fangen sie auf, nehmen sie zwischen uns, führen sie zu einem Heuballen und helfen ihr, sich zu setzen. Plötzlich packt sie mich am Handgelenk, und das Wirrwarr ihrer Gefühle strömt auf mich ein, Verblüffung und Erleichterung und Wut, der tiefe Wunsch, Web zu sehen, ihn zu halten und diese Stelle hinter seinen Ohren zu riechen, die Angst, dass der Geruch dieser Stelle nicht mehr der gleiche ist oder dass sie nicht mehr dieselbe sein wird. Sie ist zerbrochen jetzt, denkt sie, eine kaputte Puppe mit glasigen Augen.
«Ist schon gut, Ange», sage ich.
«Danke, dass du gekommen bist», flüstert sie, dann schüttelt sie den Kopf, streicht sich einzelne Haarsträhnen aus den Augen und schaut ernst zu mir auf. «Danke», versucht sie es noch einmal, «dass du meinetwegen gekommen bist. Wie habt ihr mich gefunden?»
«Ja, in der Tat, wie habt ihr sie gefunden?», dröhnt eine Stimme hinter uns. «Das frage ich mich auch.»
Angela schaut auf. Dann lässt sie den Kopf auf die Knie sinken und stöhnt auf, ein verzweifeltes Geräusch der Hoffnungslosigkeit.
Ich wirbele herum. Und da, im Schatten hinten in der Scheune, steht Asael.
Er sieht aus wie Samjeeza, denke ich. Beide sind sie groß wie alle Engel, haben rabenschwarzes, glänzendes Haar. Diesem Mann vor uns reicht es bis knapp über die Ohren, sein Haar ist ein bisschen wellig, während Samjeezas Haar glatt ist, aber beide haben die gleichen tiefliegenden bernsteinfarbenen Augen. Ich erkenne auch Angela in seinem Gesicht, etwa die römische Nase mit dem kleinen Haken auf dem Nasenrücken, ihre volle Unterlippe. Und da ist noch etwas an ihm, das mir vertraut vorkommt, aber irgendwie bekomme ich es nicht zu fassen.
Lucy steht neben ihm, mit verschränkten Armen, und zieht einen Flunsch.
Jeffrey richtet sich auf. «Luce? Mr Wick?»
Mr Wick. Lucys Dad. Der Mann, dem der Club und das Tattoo-Studio gehören.
«Hallo, Jeffrey», sagt Asael. Er macht einen Schritt auf uns zu. Ich reagiere, indem ich einen Kreis aus himmlischem Glanz um uns herbeirufe. Ich bin viel zu erschöpft. Das Licht fängt sofort an zu zucken, aber ehe es ausgeht, ersetzt es Christian durch seinen Glanz. Ich seufze vor Erleichterung. Wenigstens für den Moment sind wir in Sicherheit.
Asael bleibt wie angewurzelt stehen, in seinen Zügen spiegelt sich Verärgerung, als hätten wir etwas unglaublich Ungezogenes getan. Zuerst schaut er auf Jeffrey, der ihn anstarrt und völlig verwirrt ist. Wie man sich eben fühlt, wenn man den Vater seiner Freundin unerwarteterweise in einer x-beliebigen Scheune in einem anderen Bundesstaat trifft. Dann schaut Asael auf Angela, die sich weder rührt noch den Kopf hebt, dann auf Christian. Schließlich auf mich.
«Ich glaube, wir kennen uns noch nicht», sagt er. «Ich bin Mr Wick.»
«Du bist Asael», sage ich. «Du bist der Anführer der Wächter», füge ich hinzu, damit Jeffrey versteht. «Ein Schwarzflügel.»
Theatralisch hebt Asael die Hände. «Wieso musst du auf solchen Etikettierungen beharren? Schwarz, weiß, grau, was spielt das für eine Rolle? Jeffrey, du kennst mich. Bin ich je unfreundlich zu dir gewesen?»
«Nein», antwortet Jeffrey, aber allmählich scheint er sich unwohl zu fühlen, schaut verwirrt.
«Es spielt sehr wohl eine Rolle», sage ich zu meinem Bruder. «Gut und Böse existieren, Jeffrey. Sie sind real. Dieser Typ ist abgrundtief böse. Spürst du das nicht?»
Asael lacht, als sei dieser Gedanke absurd, und Lucy lacht mit.
«Komm doch mit uns, Jeffrey», sagt sie. «Komm mit uns zurück. Du gehörst nicht zu diesen Leuten. Du gehörst zu mir.»
«In die Hölle?», fragt er.
In ihren Augen funkelt und blitzt es. «Das war nicht die Hölle. Es ist eine alternative Welt zu deiner eigenen, ja, aber die Hölle ist es nicht. Hast du eine brodelnde Lavagrube gesehen oder einen Typen im roten Anzug mit Schwanz und Dreizack? Das ist nur ein Mythos, Baby. Wichtig ist doch nur, dass wir zusammen sein können. Wir sind füreinander bestimmt, hab ich recht?»
Eine schreckliche Sekunde lang glaube ich, er wird
Weitere Kostenlose Bücher