Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
goldgesprenkelten Augen unverwandt ansieht.
Ich schaue weg.
Ich weiß nicht, was er von mir erwartet, jetzt, da ich offiziell solo bin. Ich weiß auch nicht, was ich von mir selbst erwarte. Ich habe keine Ahnung, was ich gerade tue.
«Ich erwarte nichts, Clara», sagt er, sieht mich aber nicht an. «Wenn du mit mir losziehen willst, toll. Wenn du Zeit für dich und Ruhe willst, auch gut.»
Ich bin erleichtert. Wir können dieses «Wir-gehören-zusammen» langsam angehen, können herausfinden, was es wirklich bedeutet. Wir müssen nichts überstürzen. Wir können Freunde sein.
«Danke», sage ich. «Und sieh mal, ich hätte dich nicht gefragt, ob du mit mir abhängen willst, wenn ich nicht mit dir abhängen wollte.» Du bist mein bester Freund , will ich sagen, aber aus irgendeinem Grund sage ich es nicht.
Er lächelt. «Bring mich zu eurem Haus», sagt er spontan. «Ich will sehen, wo du mal gewohnt hast.»
Der peinliche Teil des Gesprächs ist offiziell beendet. Gehorsam biege ich rechts ab in mein altes Viertel. Aber es ist nicht unser Haus. Nicht mehr. Es ist jetzt das Haus von jemand anderem, und die Vorstellung macht mich traurig: ein anderer, der in meinem Zimmer schläft, ein anderer an dem Küchenfenster, an dem Mom immer stand und zusah, wie die Kolibris hinten im Garten von Blüte zu Blüte flogen. Aber so ist das Leben, schätze ich. So ist es, wenn man erwachsen ist. Man verlässt Orte. Man zieht weiter.
Hinter der Häuserreihe steigt die Sonne hoch, als wir in meine Straße einbiegen. Rasensprenger werfen Netze von weißem Dunst in die Luft. Ich kurbele das Fenster herunter und lenke mit der rechten Hand, die linke Hand lasse ich in der kühlen Luft draußen baumeln. Es riecht so gut hier, nach feuchtem Beton und frisch gemähtem Gras, der Duft von Speck und Pfannkuchen schwebt zwischen den Häusern, das Aroma von Gartenrosen und Magnolienbäumen, all die Gerüche meines früheren Lebens. Es hat etwas Unwirkliches, durch diese vertrauten, von Bäumen gesäumten Straßen zu fahren, dieselben Autos in den Auffahrten geparkt zu sehen, dieselben Leute wahrzunehmen, die sich auf den Weg zur Arbeit machen, dieselben Kinder auf dem Weg in die Schule. Als hätte die Zeit hier stillgestanden und als hätten die vergangenen zwei Jahre und das ganze verrückte Zeug, das in Wyoming passiert ist, gar nicht stattgefunden.
Ich parke den Wagen an der Straße gegenüber von unserem alten Haus.
«Hübsch», sagt Christian und schaut durchs offene Wagenfenster auf das große zweigeschossige Haus mit den blauen Fensterläden, das einmal mein Zuhause war, mein Heim die ersten sechzehn Jahre meines Lebens über. «Ein weißer Palisadenzaun und alles Drum und Dran.»
«Ja. Meine Mom hatte was übrig für Traditionen.»
Auch das Haus sieht noch genauso aus wie früher. Lange starre ich auf den Basketballkorb, der über der Garage angebracht ist. Beinahe höre ich Jeffrey beim Training, den Rhythmus, in dem der Ball auf dem Zement aufschlägt, seine Füße, die hin und her tänzeln, seinen Atem, den er ausstößt, wenn er springt und den Ball ins Netz befördert, die Art, wie das Brett hinter dem Netz vibriert und das Netz raschelt, sich Jeffrey mit einem «Ja!» selbst anfeuert. Wie oft habe ich mit dem Geräusch im Hintergrund meine Hausaufgaben gemacht?
«Er kommt schon wieder», sagt Christian.
Ich drehe mich zu ihm um. «Er ist sechzehn, Christian. Er sollte zu Hause sein. Er sollte jemanden haben, der sich um ihn kümmert.»
«Jeffrey ist stark. Er kann auf sich selbst aufpassen. Du willst doch nicht, dass er nach Hause kommt und verhaftet wird, oder?»
«Nein», gebe ich zu. «Ich mach mir bloß … ich mach mir bloß Sorgen.»
«Du bist eine gute Schwester», meint er.
Ich schnaube verächtlich. «Ich hab ihm alles verdorben.»
«Du liebst ihn. Hättest du gewusst, was er durchmacht, hättest du ihm geholfen.»
Ich weiche seinem Blick aus. «Woher willst du das wissen? Vielleicht hätte ich ihn auch hängenlassen und mich bloß um meine Sache gekümmert. So was kann ich richtig gut.»
Christian holt tief Luft, dann sagt er bestimmter: «Es ist nicht deine Schuld, Clara.»
Ich wünschte, ich könnte ihm glauben.
Wieder senkt sich Schweigen über uns, diesmal aber ist es gewichtiger.
Ich sollte ihm von der Vision erzählen. Ich sollte es nicht länger hinauszögern. Ich weiß nicht einmal, weshalb ich es hinauszögere.
«Also erzähl schon», sagt er und stützt den Ellenbogen auf den Rand des
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