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Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Titel: Unearthly. Himmelsbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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glänzend schwarz mit spitzem, leicht gebogenem Schnabel. Er sitzt ganz oben auf dem Laternenmast, und es kommt mir vor wie eine Szene aus einem Gedicht von Edgar Allan Poe. Er beobachtet mich. Still. Grüblerisch. Bewusst.
    Billy hat einmal erzählt, dass Schwarzflügel sich in Vögel verwandeln können. Nur auf diese Art können sie fliegen; andernfalls würde ihr Kummer sie niederdrücken. Also ist dieser Vogel tatsächlich nur eine gewöhnliche Krähe?
    Ich blinzele zu ihm hoch. Er legt den Kopf schräg und starrt mit unbewegten gelben Augen zurück.
    Furcht rinnt wie tropfendes Eiswasser mein Rückgrat hinunter.
    Komm schon, Clara, denke ich. Das ist doch nur ein Vogel.
    Ich weise mich in Gedanken zurecht und gehe schnell vorbei; in der kalten Morgenluft schlinge ich die Arme um mich. Der Vogel krächzt, ein scharfer, schnarrender Warnruf, bei dem es mir auf der Kopfhaut kribbelt. Ich gehe weiter. Nach ein paar Schritten schaue ich über die Schulter zu dem Laternenpfahl zurück.
    Der Vogel ist verschwunden.
    Seufzend sage ich mir, dass ich allmählich paranoid werde, dass ich wegen der Vision einfach überdreht bin. Ich versuche, den Vogel aus meinen Gedanken zu verbannen, und gehe weiter. Schnell. Ehe es mir so richtig bewusst wird, bin ich auf der anderen Seite des Campus, stehe unter Christians Fenster, gehe auf dem Bürgersteig schnell immer wieder auf und ab, weil ich eigentlich gar nicht weiß, was ich hier mache.
    Ich hätte ihm längst von der Vision erzählen sollen, aber ich war zu verärgert, weil er so gegen meine Idee war, Ärztin zu werden. Aber schon davor hätte ich es ihm erzählen sollen. Wir sind seit einer Woche hier, und beide haben wir noch nicht über Visionen oder Aufgaben oder sonstigen Engelkram geredet. Wir haben gespielt, dass wir Erstsemester sind, haben so getan, als hätten wir keine anderen Sorgen, als neue Namen zu lernen, herauszufinden, wo unsere Kurse stattfinden, und an einer Uni, an der jeder ein Genie zu sein scheint, nicht wie Vollidioten zu wirken.
    Aber jetzt muss ich es ihm erzählen. Unbedingt. Nur ist es erst – ich sehe auf meinem Handy nach – Viertel nach sieben. Zu früh für dieses Gespräch, für das Ratespiel, was er wohl in meiner Vision zu suchen hat.
    Clara? Seine Stimme in meinem Kopf ist verschlafen.
    Oh, Mist, tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken.
    Wo bist du?
    Draußen. Ich … Hier … Ich wähle seine Handynummer.
    Er geht beim ersten Klingeln ran. «Was ist los? Alles in Ordnung mit dir?»
    «Magst du ein bisschen mit mir abhängen?», frage ich. «Ich weiß, es ist noch früh …»
    Ich höre ihn förmlich am anderen Ende der Leitung lächeln. «Na klar. Hängen wir ein bisschen rum.»
    «Oh, gut.»
    «Aber lass mich erst mal meine Hosen anziehen.»
    «Ja, tu das», sage ich und bin froh, dass er nicht sehen kann, wie ich total rot werde, als ich ihn mir in Boxershorts vorstelle. «Ich warte hier unten.»
    Ein paar Minuten später kommt er in Jeans und einem brandneuen Stanford-Shirt heraus, sein Haar ist zerzaust. Er beherrscht sich und umarmt mich nicht. Er ist erleichtert, mich nach unserem Streit vor ein paar Tagen vor der Buchhandlung wiederzusehen. Er will mir sagen, dass es ihm leid tut. Er will mir sagen, dass er mich unterstützen wird, egal, zu was ich mich entschließe.
    Nichts davon muss er laut aussprechen.
    «Danke», sage ich leise. «Das bedeutet mir viel.»
    «Also was ist denn nun los?», fragt er.
    Es ist schwer, einen Anfang zu finden. «Willst du eine Weile mal runter vom Campus?»
    «Klar», sagt er, und in seinen grünen Augen blitzt Neugier auf. «Ich hab erst um elf einen Kurs.»
    Ich mache mich auf den Rückweg zu meinem Wohnheim. «Komm mit», rufe ich über die Schulter zurück. Er holt mich joggend ein. «Lass uns fahren.»

    Zwanzig Minuten später fahren wir durch Mountain View, meine alte Heimatstadt.
    «Mercy Street», liest Christian, als wir durch den Ort fahren und diesen Doughnut-Laden suchen, in den ich früher immer gegangen bin, wo die Schokoriegel mit Ahornsirup so gut sind, dass man weinen könnte. «Church Street. Hope Street. Barmherzigkeit, Kirche, Hoffnung – das scheint hier irgendwie ein Thema zu sein …»
    «Das sind bloß Namen, Christian. Ich glaube, da hatte einer richtig Spaß, als er das Rathaus zwischen die Church und die Mercy Street an der Castro Street platziert hat. Das ist alles.» Ich schaue in Rück- und Seitenspiegel und bin nicht darauf vorbereitet, dass er mich mit seinen

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