Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
Scheune.
Puh, vielleicht ganz gut, dass ich es nicht geschafft habe, Christian mitzunehmen. Ich hole mein Handy raus.
Sorry , tippe ich ein. Versuchen wir’s noch mal? Ich kann zurückkommen.
Schon gut. Ich werde mich auf traditionelle Weise nach Hause begeben. Wir sehen uns in ein paar Tagen. Grüß Angela von mir.
Ich schaue auf und sehe Tucker, der mich vom Heuboden aus anstarrt.
Ehe er die Gelegenheit hat, mich zu begrüßen, bin ich weg.
Ich finde Angela im Wachzimmer der Entbindungsstation. Sie trägt einen verwaschenen blauweißen Krankenhauskittel und starrt aus dem Fenster. Das Baby liegt ein paar Meter entfernt in einer Art Plastikwanne auf Rädern, eng in ein Tuch gewickelt, sodass er aussieht wie ein kleiner Burrito; er schläft, auf dem Kopf hat er ein winziges blaues Mützchen, das seine dichte, schwarze Mähne nicht ganz bedeckt. WEBSTER steht in Druckschrift auf einer Karte am Fußende der Wanne. Sein Gesicht ist ganz violett und fleckig, um die Augen herum geschwollen. Irgendwie sieht er aus, als hätte er gerade einen Boxkampf bestritten. Und verloren.
«Er ist hinreißend», flüstere ich Angela zu. «Wieso hast du mir keine SMS geschickt?»
«Ich war beschäftigt», antwortet sie, und ihre Stimme klingt so hohl, dass mir das Herz schwer wird, in ihrem Blick liegt eine erschreckende Mattheit.
Ich setze mich auf einen Stuhl nah beim Bett. «Es war also ziemlich schlimm, ja?»
Sie zuckt mit den Schultern, besser gesagt, mit einer Schulter, als sei sie zu müde, um beide zu bewegen. «Es war demütigend und angsteinflößend, und es hat weh getan. Aber ich habe es überlebt. Die sagen, ich kann morgen nach Hause. Wir können nach Hause, meine ich. Wir können morgen schon nach Hause.»
Wieder starrt sie aus dem Fenster. Es ist ein schöner Tag, blauer Himmel, flauschige Wolken, die an der Fensterscheibe vorbeiziehen.
«Schön», sage ich, weil mir sonst nichts einfällt. «Soll ich für dich …»
«Meine Mom kümmert sich drum. Sie ist gerade raus, um noch ein paar Sachen zu holen. Sie wird mir helfen.»
«Ich will dir doch auch helfen», sage ich. «Ehrlich. Die Abschlussklausuren habe ich hinter mir. Ich habe fast zwei Wochen frei.» Ich beuge mich vor und nehme ihre Hand.
Sie empfindet eine solche Verzweiflung, dass mir das Herz weh tut.
«Ich weiß rein gar nichts über Babys, aber ich bin für dich da, okay?», bringe ich trotz des Schmerzes hervor.
Sie zieht ihre Hand unter meiner weg, aber ihr Blick wird ein wenig milder. «Danke, C.»
«Ich glaube, ich habe dir noch gar nicht gesagt, wie sehr ich dich dafür bewundere, wie du das alles schaffst», sage ich.
Sie schnaubt verächtlich. «Wie ich was schaffe? Dass ich alle angelogen habe, als ich erzählt habe, wer der Vater ist? Dass ich meine ganzen Hoffnungen in eine alberne Vision gesetzt habe? Dass ich so dumm war und das überhaupt alles so weit habe kommen lassen?»
«Ähm, nein, dafür doch nicht. Dafür, wie du das hier durchziehst, obwohl du Angst hast.»
Ihr Mund wird ganz schmal und verkniffen. «Ich konnte ihn einfach nicht zu irgendwelchen fremden Leuten geben, weil ich dann vielleicht nie erfahren würde, wie es mit ihm weitergeht.»
«Das ist sehr tapfer, Ange.»
Sie schüttelt den Kopf. Vielleicht nicht , sagt sie in meinen Gedanken. Vielleicht wäre er fern von mir viel sicherer. Bei einer Menschenfamilie. Vielleicht wäre er dann besser dran. Vielleicht bin ich ja nur selbstsüchtig.
Der Kleine gibt ein leises Seufzen von sich und windet sich in dem Tuch, in das er gehüllt ist. Er öffnet die Augen, die goldfarben sind wie Angelas, und fängt an zu weinen, ein schwaches, näselnd klingendes Jammern. Bei dem Geräusch läuft mir ein Schauer das Rückgrat hinunter. Ich springe auf.
«Soll ich ihn dir geben?», frage ich.
Sie zögert. «Ich rufe die Schwester.» Sie drückt auf einen Knopf am Kopfende ihres Bettes.
Ich trete an die eine Seite der Plastikwanne und schaue hinein. Er ist so winzig. Ich glaube nicht, dass ich je schon einmal etwas so Kleines und Neues gesehen habe. Ich habe bisher noch nicht einmal ein Baby gehalten, außer Jeffrey, schätze ich, und daran kann ich mich nicht erinnern.
«Ich will ihn nicht zerbrechen», gestehe ich Angela.
«Ich auch nicht», erwidert sie.
Aber wir werden von Anna, Angelas Mutter, gerettet, die kurz vor der Krankenschwester in den Raum kommt. Schwungvoll tritt sie an die Wanne und hebt das Baby hoch, redet beruhigend auf den Kleinen ein, hält ihn an
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