Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
die alles Leben beherrscht.»
Wir sind wieder an dem menschenleeren Strand, denn er hat entschieden, dass dieser Ort uns beim Training weniger ablenkt als der Garten hinter meinem Haus in Jackson. Die Abenddämmerung bricht herein. Christian und ich sitzen nah am Wasser, während Dad uns einen Minivortrag über die Zusammensetzung des Glanzes und seine vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten hält.
Und ich hatte gedacht, ich hätte Ferien. Seit wir wieder in Jackson sind, trainieren wir jeden Tag. Immerhin sind wir am Strand.
Dad fährt fort: «Es gibt nichts, weder auf der Erde noch im Himmel, ja nicht einmal in der Hölle, das dieses Licht besiegen kann. Wenn ihr darauf vertraut, wird sich der Glanz zu allem formen, was ihr braucht.»
«Zum Beispiel zu einer Laterne», sage ich.
«Ja. Oder zu einem Pfeil, wie ihr gesehen habt. Aber die wirkungsvollste Gestalt ist das Schwert. Es ist schnell und kraftvoll, schärfer als eine Klinge mit doppelter Schneide, durchdringend, sogar bis zur Trennlinie zwischen Seele und Geist, bis zu den Gelenken und bis ins Mark, ein Erkenner der Gedanken und Absichten des Herzens.»
Jetzt wird er aber poetisch!
Ich denke daran, wie Jeffrey reagiert hat, als ich von dem Glanzschwert gesprochen habe. «Und wie wäre es mit einem Glanzgewehr?», frage ich. «Schließlich sind wir doch im einundzwanzigsten Jahrhundert. Vielleicht sollten wir lieber eine Halbautomatik aus Glanz herbeirufen.»
«Und was würdest du dann alles erschaffen müssen? Einen Schaft und einen Lauf aus Glanz, einen Abfeuermechanismus, Glanzmunition, Patronen, Kugeln?», fragt Dad mit belustigtem Blick.
«Na ja, wenn du es so sagst, hört es sich wirklich blöd an. Ich schätze, ein Schwert ist schon in Ordnung.»
Dad verzieht das Gesicht. «Ich glaube, du wirst feststellen, dass das Schwert nützlicher ist als alles andere. Und eleganter.»
«Eine elegante Waffe für ein kultiviertes Zeitalter», witzele ich.
Der Witz kommt bei Dad nicht an, aber Christian bringe ich mit meiner Albernheit zum Lachen, und das ist ja auch schon was wert.
«Wieso?», fragt Christian plötzlich. «Ich meine, wieso sollte ein Schwert nützlicher sein?»
«Weil auch die Feinde eine Klinge benutzen», antwortet Dad ernst. «Geschaffen aus ihrem Kummer.»
Ich setze mich gerader hin. «Ein Schwert aus Kummer?» Ich gebe mir Mühe, nicht an Christians Vision zu denken, an das Blut auf meinem T-Shirt, daran, wie sehr ich mich fürchte, jede einzelne Minute, daran, dass das, was er sieht, mein Tod ist. Aber bis jetzt habe ich noch nicht den Mut gehabt, Dad nach seiner Interpretation der Zukunft zu fragen.
«Für gewöhnlich ist es kürzer, eher wie ein Dolch. Aber scharf. Durchdringend. Und schmerzhaft. Es verletzt die Seele genau wie den Körper. Und diese Wunden heilen schlecht», sagt Dad.
«Na ja, das ist ja … toll», bringe ich hervor. «Wir haben ein Glanzschwert. Die haben einen Kummerdolch. Prima.»
«Ihr seht also, wie wichtig es ist, dass ihr trainiert», meint er.
Ich stehe auf, klopfe mir den Sand aus den Shorts. «Genug geredet», sage ich. «Lasst es uns versuchen.»
Etwa eine Stunde später lasse ich mich keuchend wieder in den Sand fallen. Christian steht neben mir, in der Hand das denkbar prachtvollste Glanzschwert, perfekt und schimmernd. Ich meinerseits habe ein paar Mal eine Glanzlaterne gemacht, eine Art Glanzpfeil (eher eine Art Glanzspeer, aber im Notfall würde es damit gehen, denke ich, was ja nicht nichts ist, möchte ich nur zu bedenken geben), wenn auch kein Glanzschwert.
Dad runzelt die Stirn, mehr als besorgt. «Du konzentrierst dich nicht auf die richtigen Dinge», sagt er. «Du musst dir das Schwert als etwas vorstellen, das nicht nur etwas Physisches ist, das du in der Hand halten kannst. Du musst es dir als Wahrheit vorstellen.»
«Ich dachte, du hast gesagt, es ist keine Metapher.»
«Ich sagte, es ist mehr als eine Metapher. Lass uns etwas anderes probieren», schlägt er vor. Die Sonne steht inzwischen schon sehr tief, lange Schatten laufen über den Strand. «Denk an etwas, von dem du mit absoluter Sicherheit weißt, dass es wahr ist.»
Ich sage das Erste, was mir in den Sinn kommt. «Ich weiß, dass ich deine Tochter bin.»
Das scheint ihm zu gefallen. «Gut. Nehmen wir das für den Anfang. Denk an den Teil in dir, der diese Tatsache kennt, sie fühlt, tief in deinem Inneren. Spürst du es?»
Ich nicke. «Ja. Ich spüre es tief in meinem Inneren.»
«Schließ die Augen.»
Das
Weitere Kostenlose Bücher