Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
gelesen … Wenn du dich mit deinem vorschnellen Urteil nur mal ein bisschen zurückhalten könntest, würdest du sehen, dass sie die ideale Freundin für mich ist.»
«Also von ihr hast du diesen ganzen Mist, von wegen, es gibt keinen Gott und …»
«Das ist kein Mi…»
«Wie kannst du nur so dumm sein! Das ist so rücksichtslos, sogar für deine Verhältnisse. Du bringst uns alle in Gefahr. Begreifst du das denn nicht? Verstehst du denn nicht, dass Menschen verletzt, vielleicht sogar getötet werden können, wenn du dein Geheimnis nicht wahrst, wenn du herumposaunst, was du bist?»
Seine Augen funkeln auf eine Weise, die mich an Dad erinnert.
«Du bist nicht meine Mutter», sagt er.
«Denkst du, das weiß ich nicht? Mom würde ausflipp…»
«Also hör auf, dich so zu benehmen wie sie», faucht er mich an. «Ich muss jetzt zurück.»
Er dreht sich um, will gehen.
«He! Wir sind noch nicht fertig. Wir müssen darüber reden.»
«Das ist mein Leben», brüllt er mich an. «Zum letzten Mal, halt dich da raus!»
Er stürmt die Straße hinauf und verschwindet im Lokal. Ich steige ins Auto und umklammere mit beiden Händen das Lenkrad.
Ich sehne mich so sehr nach meiner Mutter, dass ich kaum noch atmen kann. Vor meinen Augen verschwimmt alles.
Zittrig greife ich zu meinem Handy. Ich seufze und drücke bei den Kurzwahltasten die Zwei.
«Ich bin’s», sage ich, als Christian rangeht. «Ich brauche dich.»
Er sitzt im Wohnheim auf dem Fußboden, mit dem Rücken an meine Tür gelehnt, als ich komme. Wir sagen kein Wort, bis wir im Zimmer sind, aber in dem Moment, in dem die Tür hinter uns zufällt, nimmt er mich in die Arme, ungefähr eine Millisekunde, ehe ich in großem Stil zu weinen anfange.
«Ist ja gut», murmelt er mit dem Mund an meinem Haar.
Wan Chen, die an ihrem Schreibtisch sitzt, räuspert sich.
«Ich geh dann wohl mal was zu essen holen», sagt sie und schlüpft an uns vorbei, ohne mir in die Augen zu schauen.
Ich finde ein Taschentuch, putze mir die Nase. «Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, weshalb ich so gefühlsduselig bin. Vielleicht habe ich ja ein klitzekleines bisschen übertrieben.»
«Erzähl», sagt er.
«Es ist Jeffrey.» Mir steigen wieder die Tränen in die Augen. Doch auch, wenn ich immer wieder schniefen muss, schaffe ich es, ihm alles zu erzählen.
«Ich weiß nicht, was ich machen soll!», rufe ich. «Er hört einfach nicht auf mich, und ich habe kein gutes Gefühl bei seiner Freundin. Vielleicht bin ich ja ungerecht, voreingenommen, wie er gesagt hat, aber du hättest sehen sollen, wie sie ihn um den kleinen Finger wickeln konnte. ‹Du weißt, was ich mag …› Beinahe hätte ich mich übergeben. Und sie war so ekelhaft selbstgefällig. ‹Du gehst aufs College? Puh, ich konnte die Schule nicht ausstehen.› Wie ist die denn drauf? Und hallo, sie ist zwanzig, und er ist, verdammt noch mal, sechzehn. Und sie redet ihm lauter Blödsinn ein, das kann ich dir sagen.» Jetzt ist mir die Puste ausgegangen. «Ich höre mich wohl ziemlich überspannt an, was?»
Er lächelt nicht. «Du hörst dich besorgt an.»
Ich lasse mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen. «Was soll ich denn bloß machen?»
Er geht ans Fenster und sieht nachdenklich hinaus. «Viel kannst du nicht machen. Es sei denn …»
Ich warte, aber er beendet den Satz nicht. «Es sei denn, was?»
«Du könntest die Polizei benachrichtigen.»
«Ihretwegen?»
«Seinetwegen. Wegen der Sache mit dem Waldbrand. Du könntest ihnen einen Tipp geben, damit sie wissen, wo sie ihn finden können.»
Total perplex starre ich ihn an.
«Sie würden ihn verhaften, aber es würde ihn von ihr wegbringen. Er wäre in Sicherheit», sagt er.
«In Sicherheit.»
«Etwas mehr in Sicherheit. Er müsste nach Jackson zurück. In den Jugendknast, vielleicht, für eine Weile. Aber das bringt ihn möglicherweise wieder auf die richtige Bahn.»
«Ich glaube nicht, dass ich ihm das antun könnte», sage ich etwas später. Ich kann ihn nicht auf diese Weise hintergehen. Er würde mich ewig hassen. «Das kann ich nicht.»
«Ich weiß», erwidert Christian. «Ich wollte es ja auch bloß mal erwähnt haben.»
Danach meldet sich Jeffrey nicht mehr bei mir, aber ich hatte auch nichts anderes erwartet. Ich überlege, ob ich noch mal in die Pizzeria gehen soll, um mich zu entschuldigen, aber etwas (um ganz genau zu sein, Christian) sagt mir, dass ich damit womöglich alles nur noch schlimmer machen würde. Lass ihn erst mal
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