Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
runterkommen , sagt Christian. Komm du erst mal wieder runter.
Wie durch ein Wunder ist mit Christian und mir wieder alles beim Alten, wir führen tiefschürfende Gespräche beim Kaffee, wir laufen beim morgendlichen Joggen um die Wette, wir lachen, wenn wir im Fechtkurs angreifen und parieren; alles ist wieder so wie vor unserem Date. Na ja, fast alles. Es gibt immer diesen Moment gegen Ende unseres Zusammenseins, während wir uns voneinander verabschieden, an dem ich weiß, dass er mich noch mal bitten will, mit ihm auszugehen. Dass er es noch mal versuchen will. Mich umwerben will. Weil er denkt, es ist Teil seiner Aufgabe.
Aber er hat beschlossen abzuwarten, will mich diesmal den ersten Schritt machen lassen. Der Aufschlag liegt bei mir. Und ich weiß nicht, ob ich bereit dazu bin.
Was uns zum Ende des Monats März bringt und zum Ende des Wintertrimesters, ein paar Tage, ehe wir in die Ferien gehen. Ich will mich gerade in die Abschlussklausur meines Literaturkurses setzen, als ich die folgende SMS bekomme:
Fruchtblase geplatzt. Komm NICHT ins Krankenhaus. Ich rufe später an.
Angela liegt in den Wehen.
Es fällt mir ziemlich schwer, mich auf meine Klausur zu konzentrieren. Ständig muss ich an ihren Gesichtsausdruck denken, als sie gesagt hat: Ich weiß überhaupt nicht, wie das geht, Mutter sein . Und ihren Gesichtsausdruck, als Phen verschwunden ist und sie da im Innenhof hat stehen lassen, wie das Feuer in ihr direkt vor meinen Augen zu verlöschen schien. Wenn ich in letzter Zeit mit ihr gesprochen habe, klang sie immer schläfrig, und jedes Mal meinte sie, es sei alles in Ordnung, erzählte mir ein kleines Detail über ihre Vorbereitungen auf das Baby – sie hat einen Lamaze-Kurs gemacht, eine Baby-Badewanne gekauft, einen Windelvorrat angelegt –, aber sie ist nicht so lebendig und feurig, wie es sonst typisch für sie ist. Sie denkt, ihr Leben ist zerstört. Ihre Aufgabe ist beendet, bedeutungslos. Verloren.
Nach der Klausur schaue ich auf meinem Handy nach, ob ich eine neue Nachricht bekommen habe, aber es ist nichts gekommen.
Ist er schon da? , frage ich per SMS. Ich gebe mir Mühe, nicht zu sehr daran zu denken, was die Folgen sein könnten.
Sie antwortet nicht.
Ungefähr eine Stunde später laufe ich im Wohnheim auf und ab, kaue an meinen Fingernägeln, als Christian an meine Tür klopft.
«He, ich habe meine letzte Klausur hinter mir. Sollen wir zur Feier des Tages etwas essen gehen?», fragt er.
«Angela bekommt gerade das Baby!», platzt es aus mir heraus.
Über seinen entsetzten Gesichtsausdruck muss ich beinahe lachen.
«Vor ein paar Stunden hat sie mir eine SMS geschickt, und ich weiß nicht, ob es schon da ist oder nicht. Sie will nicht, dass ich ins Krankenhaus komme, ehe sie sich gemeldet hat, aber …»
«Du willst trotzdem hin, oder?»
«Ich bleibe im Warteraum oder so was, aber … ja. Ich will hin.» Ich ziehe einen Mantel an, denn es ist März, und in Wyoming wird es vermutlich noch kalt sein. «Willst du mitkommen?»
«Du meinst, du bringst uns beide nach Wyoming? Kannst du das?»
«Ich weiß nicht. Ich hab bis jetzt noch nie versucht, jemanden mitzunehmen.» Ich halte ihm meine Hand hin. «Aber Dad macht es. Willst du es versuchen?»
Er zögert.
«Der Warteraum. Nicht der Kreißsaal», erkläre ich nachdrücklich.
«Na schön.» Er nimmt meine Hand, und mir kocht buchstäblich das Blut von unserer vereinten Kraft und der Vorfreude, die ich empfinde. Uns wegzubeamen dürfte kein Problem sein.
«Na gut, gib mir auch deine andere Hand.» Ich stelle mich ihm gegenüber, wir fassen uns an den Händen. Er stöhnt auf, als ich den himmlischen Glanz um uns herbeirufe.
«So leicht fällt dir das, ja?»
«Der Glanz? Ich werde immer besser. Wie ist es mit dir?»
Er sieht auf seine Füße, schenkt mir ein leicht verlegenes Lächeln. «So einfach kann ich das nicht. Ich kann es, aber ich brauche meistens eine Weile. Aber den Ort wechseln kann ich mit Sicherheit nicht. Das übersteigt meine Fähigkeiten bei weitem.»
«Na ja, das mit dem Glanz fällt mir natürlich leichter, wenn ich mit dir zusammen bin», sage ich und werde mit einem Aufleuchten seiner Augen belohnt. «Dann mal los.» Ich schließe die Augen, denke an unser kleines Gärtchen hinterm Haus in Jackson, die Espen, das Geräusch des plätschernden Baches. Das Licht um uns wird stärker, rot hinter meinen Augenlidern. Dann verblasst es.
Christians Hand halte ich nicht mehr.
Ich öffne die Augen.
Tuckers
Weitere Kostenlose Bücher