Unendlichkeit in ihrer Hand
Felle, die sie in das Land östlich des Paradieses mitnehmen würden. Kain hatte jene Gegend auf einer seiner Wanderungen kennengelernt. Sie sei grün, versicherte er. Selbst wenn nichts, was seine Hände säten, Frucht bringen würde, könne Luluwa gewiss sein, dort weder Hunger noch Durst zu leiden.
Aklia war seit Abels Tod verstummt. Sie hockte im stockdunklen hinteren Teil der Höhle in einer Nische und hörte nicht auf Evas Rufen. Und wenn sich die Mutter näherte, fixierte Aklia sie nur mit ihren sanften, ängstlichen Blicken. Sie vergaß die Sprache und schien allmählich auch den Verstand und das menschliche Bewusstsein zu verlieren, um sich ganz und gar dem Leben eines Affen hinzugeben. Eva beaufsichtigte sie. Sie tat kaum ein Auge zu vor lauter Angst, die Tochter könnte mit der Affenbande, die nachts um die Höhle strich, davonziehen.
Eines Morgens sah sie Kain und Luluwa, die sich an der Quelle wuschen, ehe sie in die Ungewissheit ihres unsteten Lebens aufbrachen. Sie betrachtete Kains Hände, und es kam ihr vor, als berührte sie die tiefe Wunde an Abels Schädel. Sie hörte nicht auf, ihn zu lieben, dennoch wünschte sie ihm, dass seine Entbehrungen ihn zu Demut und Reue nötigen würden. Sie hatte das schreckliche Wissen von der Textur ihres Sohnes und konnte den Moment genau benennen, in dem sich seine Zweige verbogen hatten. Sie kannte sein nie gewässertes durstiges Wurzelwerk. Sie hatte diese Ahnung vom Ursprung, doch die Gewalt vermochte sie nicht zu verstehen. Vor allem jene Gewalt. Die imstande gewesen war, den eigenen Bruder zu erschlagen.
Luluwa schluchzte beim Abschied von Aklia, die nur die Arme hob, nicht zur Umarmung, sondern um den eigenen Kopf und die glänzenden, tränenlosen Augen zu berühren, die die Schwester neugierig betrachteten. Beim Abschied von Eva weinte Luluwa nicht. Ihr Stolz verbot ihr, die eigene Verletzlichkeit zu zeigen. Sie floh in ihre Schönheit und schützte sich mit ihrer Liebe zu Kain; sie wollte der Mutter ihre Einheit ohne den kleinsten Riss vorführen.
Eva sah die tristen Gestalten ihrer Kinder die Ebene überqueren und immer kleiner werden. Da vermisste sie Adam. Sie hatte gehofft, dass er doch noch kommen würde.
Sie erstarrte vor Schmerz. Nur allmählich begannen ihre leeren Augen die mit Zeichnungen bedeckten Höhlenwände wieder anzuschauen. Sie dachte daran, dass jene Figuren, ehe sie von den farbigen Strichen auf dem Stein zum Leben erweckt wurden, ihre Spuren in die Rinde ihres Herzens geritzt hatten. Jedes rohe oder anmutige Symbol verband sie wieder mit dem, was sie aus ihrer Vergangenheit aufheben und vor dem Vergessen bewahren wollte. Denn seit Abels Tod lag ihr ganzes Sein offen und ungeschützt da. Ohne Falschheit und Dichtung zog Eva die Bilanz ihrer ungewöhnlichen Existenz. Sie erkannte, dass Adam und sie, trotz ihrer Vertreibung, weitaus mehr aus dem Paradies mit in die Welt gebracht hatten als ihre Erinnerungen. Vielmehr schien es sie zu verfolgen, sie zu umgeben und über ihren Leben zu schweben. Sie hatten es nie verloren. Und sie würden es nie verlieren, solange seine unauslöschlichen Spuren in ihr Inneres eingezeichnet blieben.
Da erschien ihr einmal noch die Schlange.
Bevor sie zu Adam zurückkehrte, nahm Eva Aklia mit zum Meer.
Innerhalb weniger Tage hatte das Kopfhaar der Tochter auch deren Wangen erobert. Die Haut ihrer Hände und der langen, schmalen Füße hatte sich verhornt und braun gefärbt. Sie schien entschlossen, von der Nacht bewohnt zu werden. Sie ging artig und ungeschickt an Evas Hand, aller Worte beraubt. Bisweilen machte sie sich unterwegs los und lief, auf die Arme gestützt, ein Stück voraus. Das Meer blendete sie. Sie sprang ausgelassen über den Sand und bedeckte, wegen der Helligkeit, die Augen mit dem Arm. Eva ließ sie herumtollen und hieß sie Schnecken und Muscheln sammeln.
Sie selbst setzte sich auf den Felsen, wo sie einst von einer mit Federn bekleideten Frau geträumt hatte, deren Antlitz am Ende ihr eigenes war. Sie vernahm die Stimme der Schlange, ehe sie diese zu Gesicht bekam.
»Schau sich einer die kleine Aklia an. Vergangenheit und Zukunft rennen mit ihr über den Strand.«
»Was willst du damit sagen?«
»Sie ist wieder bei der Unschuld angelangt, Eva. Bei der Unschuld vor dem Garten, die der Vorläufer des Gartens ist. Die Geschichte ist von dir auf sie übergesprungen, und nun beginnt eine lange, langsame Zeit.«
»Ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll.
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