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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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jedenfalls von dem Anzug, der sie angriff.
    »Kjarval«, sagte Volyova. »Kjarval! Hören Sie auf zu schießen! Sie bringen Khouri noch um!«
    Aber Kjarval – Khouri erriet, dass sie der Angreifer war – hörte nicht, vielleicht konnte sie auch nicht hören oder, noch schlimmer, sie konnte das Feuer nicht mehr einstellen.
    »Kjarval«, mahnte der Triumvir. »Wenn Sie nicht aufhören, muss ich Sie entwaffnen!«
    Aber Kjarval war nicht zu halten. Sie schoss immer weiter. Khouri spürte jeden Treffer wie einen Peitschenschlag. Sie krümmte sich zusammen und versuchte mit letzter Kraft, aus der Hölle dieses Metallsaals zu kriechen und sich in Sicherheit zu bringen.
    Und dann kam Volyova von oben herab. Sie hatte sich offenbar die ganze Zeit unsichtbar im Zentrum aufgehalten. Noch im Sinkflug eröffnete sie das Feuer auf Kjarval, zuerst mit den leichten Waffen, dann mit immer schwereren Geschützen. Kjarval wehrte sich und richtete einen Teil ihrer Schüsse nach oben. Volyova wurde getroffen, ihr Schutzpanzer bekam schwarze Schrammen, aus der flexiblen Hülle wurden Splitter gerissen und die Waffen, die ihr Anzug ausfahren und einsetzen wollte, wurden einfach weggefegt. Aber sie ließ nicht locker. Kjarvals Anzug sank in sich zusammen und wurde undicht. Die Waffen schossen wild durcheinander, verfehlten das Ziel und feuerten schließlich blindlings durch den Raum.
    Irgendwann – wahrscheinlich war nicht mehr als eine Minute vergangen, seit sie das Feuer auf Khouri eröffnet hatte – fiel Kjarval zu Boden. Wo ihr Anzug nicht von Treffern geschwärzt war, erinnerte er an ein Schlachtfeld aus sich bekämpfenden psychedelischen Farben und rasant wechselnden, hypergeometrischen Strukturen. Halb realisierte Waffen und Instrumente sprießten aus allen Öffnungen. Die Gliedmaßen schlugen wie wild um sich. Aus ihren Enden schossen unaufhörlich die verschiedensten Manipulatoren und primitive, babygroße, menschenhandähnliche Gebilde, die ihrerseits Knospen trieben.
    Khouri stand auf und musste einen Aufschrei unterdrücken. Ihr Schenkel hatte die Bewegung sehr übel genommen. Der Anzug hing steif an ihr, ein totes Gewicht, aber sie schaffte es irgendwie, sich bis zu der Stelle zu schleppen, wo Kjarval lag.
    Volyova und ein zweiter Anzug – es musste Sudjic sein – waren bereits bei ihr, beugten sich über den zerstörten Anzug und versuchten, die medizinischen Diagnoseanzeigen zu lesen.
    »Sie ist tot«, sagte Volyova.

Vierzehn
    Mantell, Nord-Nekhebet, Resurgam, 2566
    An dem Tag, an dem sich die Besucher endlich vorstellten, wurde Sylveste von einem Dolchstoß aus gnadenlos grell-weißem Licht geweckt. Er hob flehentlich die Arme, bis seine Augen die Initialisierungsprogramme durchlaufen hatten. Sluka sah offenbar ein, dass es praktisch sinnlos war, in dieser Situation mit ihm reden zu wollen. Seit seine Augen so viele ihrer ursprünglichen Funktionen eingebüßt hatten, brauchten sie länger denn je, um überhaupt in Gang zu kommen. Sylveste musste eine lange Liste von Fehlermeldungen und Warnungen und ein Feuerwerk von geisterhaften Nadelstichen über sich ergehen lassen, während die Augen Betriebsarten mit schweren Ausfallerscheinungen austesteten.
    So nahm er nur undeutlich wahr, dass Pascale aufrecht neben ihm im Bett saß und sich die Decke vor die Brust hielt.
    »Sie müssen aufstehen«, sagte Sluka. »Alle beide. Ich warte draußen, bis Sie sich angezogen haben.«
    Hastig fuhren sie in ihre Kleider. Sluka stand geduldig mit zwei Wärtern vor dem Zimmer, die keine sichtbaren Waffen trugen. Sylveste und seine Frau wurden in den Gemeinschaftsraum von Mantell geführt, wo sich die Morgenschicht der Fluter des Wahren Weges um einen rechteckigen Wandschirm versammelt hatte. Thermosflaschen mit Kaffee und Frühstücksrationen standen unberührt auf dem Tisch. Was immer geschehen war, dachte Sylveste, hatte offenbar jedem normalen Menschen den Appetit verdorben. Der Schlüssel war wohl auf dem Schirm zu finden. Sylveste hörte eine Stimme, hart und künstlich verstärkt wie aus einem Lautsprecher. Doch die Gespräche im Raum waren so laut, dass er nur hin und wieder ein Wort verstand. Leider war dieses Wort fast immer sein eigener Name. Wer immer da vom Schirm herunter donnerte, gebrauchte ihn nur allzu häufig.
    Als er sich nach vorn drängte, fiel ihm auf, dass ihm die Zuschauer mit mehr Respekt Platz machten, als er seit Jahrzehnten erfahren hatte. Oder war es vielleicht nur Mitleid für einen

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