Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
Nebenprodukt der amarantinischen Nanotechnik. Jedenfalls sah man dadurch kilometerweit – bis dahin, wo die Wölbung der Kruste und die Ebene mit den Schlangen sich berührten. Die gewölbte Decke wurde in unregelmäßigen Abständen von knorrigen, im Boden verwurzelten Gebilden gestützt, die wie Baumstämme aussahen. Man glaubte sich fast in einem tiefen, mondbeschienenen Wald. Der Himmel war nicht zu sehen, und der Boden verschwand unter dichtem Unterholz, denn die Wurzeln der ›Baumstämme‹ waren vielfach ineinander verwachsen und bedeckten den eigentlichen Untergrund mit einer graphitschwarzen Matrix.
    »Was mag sich wohl darunter verbergen?«, überlegte Sylveste.
    Volyova dachte an Kindsmord. Man kam nicht daran vorbei: wenn sie dem Brückenkopf die Informationen vorenthielt, die er brauchte, um immer neue Waffen gegen die von Cerberus eingesetzte Maschinerie zu entwickeln, verurteilte sie ihn zu einem langsamen Tod. Ohne die notwendigen Aktualisierungen vom Schiff konnten die Bauvorschriften der Molekularwaffen im Kern des Brückenkopfs den Erfordernissen nicht angepasst werden. Sie blieben statisch; konnten nur Sporen erzeugen, die seit mehr als zweihundert Jahren veraltet waren; hatten dem unaufhaltsamen, stumpfsinnigen Fortschrittsmarsch der fremden Verteidigungseinrichtungen nichts entgegenzusetzen. Ihr großartiges Ungeheuer würde bis zum letzten verwendbaren Atom verdaut, seine Überreste würden gleichmäßig durch die Krustenmatrix verteilt werden, um dort für unzählige Jahrmillionen völlig andere Funktionen zu erfüllen.
    Aber es musste sein.
    Khouri hatte Recht: nur wenn sie den Brückenkopf sabotierten, konnten sie das Geschehen jetzt noch beeinflussen. Sie konnten ihn nicht einmal zerstören, weil Sonnendieb die Kontrolle über den Geschützpark hatte und jeden Versuch in dieser Richtung im Ansatz verhindern würde. Sie mussten die Waffe langsam aushungern, indem sie ihr Informationen vorenthielten.
    Was viel grausamer war.
    Niemand von den anderen sah, dass auf ihrem Armband-Display immer neue Anfragen des Brückenkopfes nach zusätzlichen Daten aufblinkten. Vor einer Stunde hatte die Waffe das Ausbleiben des fälligen Updates bemerkt und sich zunächst nur mit einer technischen Anfrage überzeugt, dass die Verbindung noch aktiv war. Später waren die Anfragen drängender geworden und hatten bei aller Höflichkeit einen entschlossenen Unterton bekommen. Nun hatte sie auf Diplomatie völlig verzichtet und bewies, dass auch eine Maschine zu Wutanfällen fähig war.
    Noch war sie nicht beschädigt, denn die Cerberus-Systeme hatten ihre eigene Gegenschlagkapazität noch nicht überschritten, aber sie war in heller Aufregung und teilte Volyova sogar mit, wie viele Minuten sie bei der derzeitigen Eskalationsgeschwindigkeit noch zu leben hatte. Viele waren es nicht. In knapp zwei Stunden wäre Cerberus gleich stark, und danach ginge es nur noch darum, welche Kräfte die Gegenseite aufbot. Cerberus würde in jedem Fall Sieger bleiben, das stand mit absoluter, mathematischer Sicherheit fest.
    Stirb schnell, dachte Volyova.
    Doch bevor sie die Bitte noch zu Ende gedacht hatte, geschah etwas Unglaubliches.
 
    Der letzte Rest von Gelassenheit wich schlagartig aus Volyovas Zügen.
    »Was ist?«, fragte Khouri. »Du siehst aus, als hättest du…«
    »Stimmt«, sagte Volyova. »Ich habe ein Gespenst gesehen. Es heißt Sonnendieb.«
    »Was ist passiert?«, fragte auch Sylveste.
    Sie schaute mit offenem Mund auf. »Er hat soeben die Sendungen an den Brückenkopf wiederaufgenommen.« Ihr Blick huschte zum Armband zurück, als hoffe sie, nur einer Täuschung erlegen zu sein. Aber ihre Miene verriet, dass die unfassbare Schreckensmeldung noch immer da war.
    »Was gab es denn wiederaufzunehmen?«, fragte Sylveste. »Ich möchte Klarheit haben.«
    Khouri umfasste die warme Lederhülle des Plasmagewehrs fester. Hatte schon bisher eine unangenehme Spannung in der Luft gelegen, so stand jetzt das blanke Entsetzen im Raum.
    »Die Waffe kann nicht erkennen, wann ihre Reaktionen veralten, dafür fehlen ihr die Routinen«, sagte sie. Ein Zittern überlief sie, als versuchte sie das Grauen abzuschütteln. »Nein… was ich sagen will… die Waffe darf gewisse Dinge nur dann erfahren, wenn sie sie auch wirklich braucht…« Sie hielt nervös inne und sah in die Runde, unsicher, ob man sie auch verstand. »Wie sich ihre Verteidigungsstrategien weiterentwickeln, darf sie erst in dem Moment wissen, in dem die

Weitere Kostenlose Bücher