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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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gegen ihren Vater, und Sylveste hatte sich natürlich nicht gewehrt, als sie ihm – im wahrsten Sinne des Wortes – die Schlüssel zur Stadt überreichte.
    In der Kolonie war die Hochzeit inzwischen Tagesgespräch. Was Sylveste an Klatsch darüber zu hören bekam, unterstellte ihm zumeist rein politische Motive; er habe Pascale umworben, um durch die Heirat dem Zentrum der Macht wieder näher zu kommen; die Hochzeit sei – zynisch betrachtet – nur Mittel zum Zweck, und der Zweck sei eine Expedition der Kolonie zum Cerberus/Hades-System. Vielleicht war ihm dieser Verdacht ganz kurz auch selbst gekommen; vielleicht hatte er sich gefragt, ob ihn nicht sein Unterbewusstsein um dieses Zieles willen dazu gebracht hatte, sich in Pascale zu verlieben. Vielleicht enthielt der Gedanke tatsächlich ein Körnchen Wahrheit. Doch das konnte er in seiner derzeitigen Situation zum Glück nicht feststellen. Auf jeden Fall hatte er das Gefühl, sie zu lieben – was für ihn das Gleiche war, wie sie wirklich zu lieben –, aber er war auch nicht blind für die Vorteile einer Ehe mit ihr. Er hatte auch wieder angefangen zu veröffentlichen; bescheidene Artikel nur, aufbauend auf Übersetzungen kleiner Teile der Amarantin-Texte. Pascale zeichnete als Mitautorin. Girardieu persönlich wurde als Mitarbeiter erwähnt. Vor fünfzehn Jahren wäre Sylveste darüber entsetzt gewesen; jetzt war er nicht einmal mehr über sich selbst empört. Für ihn zählte nur, dass die Stadt dem Verständnis des Ereignisses einen Schritt näher gekommen war.
    »Hier bin ich«, sagte Pascale. Ihre Stimme klang lauter, aber sie war wie Sylveste nur eine körperlose Präsenz. »Haben wir den gleichen Blickwinkel?«
    »Was siehst du?«
    »Den Turm; den Tempel – wie du es nennen willst.«
    »Gut so.«
    Der Tempel befand sich im geometrischen Zentrum der Stadt, die im Maßstab 1:4 verkleinert war, und sah aus wie das obere Drittel eines Eies. Die Spitze verjüngte sich zu einem spitzen Türmchen, das – immer schmaler werdend – bis zum Dach der Stadthöhle reichte. Die Gebäude ringsum wirkten zusammengeschweißt wie Webervögelnester – vielleicht ein unterschwelliger Durchbruch entwicklungsgeschichtlich bedingter Zwänge – und kauerten wie misstönende Gebete vor dem riesigen Turm, der den Tempel überragte.
    »Stört dich irgendetwas daran?«
    Er beneidete Pascale. Sie hatte die Stadt Dutzende von Malen in Wirklichkeit besucht. Sie hatte sogar zu Fuß den Turm bestiegen, durch einen schlundartigen Wendelgang, der sich bis zur Spitze empor schraubte.
    »Die Figur auf der Spitze? Sie passt nicht hierher.«
    Im Verhältnis zur übrigen Stadt wirkte die Figurine klein und zierlich, aber sie war immerhin zehn bis fünfzehn Meter hoch und damit den ägyptischen Statuen im Tal der Könige zu vergleichen. Die unterirdische Stadt war, das ließ sich aus den Erfahrungen mit anderen Ausgrabungen ableiten, maßstabsgetreu auf etwa ein Viertel der üblichen Dimensionen verkleinert worden. In voller Größe wäre die Figur auf der Turmspitze also mindestens vierzig Meter hoch gewesen. Aber diese Stadt hatte niemals an der Oberfläche gestanden. Selbst wenn sie mit viel Glück die Feuerstürme des Ereignisses überdauert hätte, wäre sie in den folgenden neunhundertneunzigtausend Jahren durch Verwitterung, Vereisung, Meteoriteneinschläge und tektonische Verschiebungen mit Sicherheit zerstört worden.
    »Passt nicht hierher?«
    »Sie stellt keinen Amarantin dar – jedenfalls keinen Amarantin, wie ich sie kenne.«
    »Also irgendeine Gottheit?«
    »Mag sein. Aber dann verstehe ich nicht, warum man ihr Flügel gegeben hat.«
    »Aha. Das hältst du also für problematisch?«
    »Sieh dir die Stadtmauer an, wenn du mir nicht glaubst.«
    »Am besten führst du mich hin, Dan.«
    Die beiden körperlosen Präsenzen wandten sich vom Turm ab und stürzten sich in Schwindel erregende Tiefen.
 
    Volyova beobachtete, wie die Stimmen auf Khouri wirkten. Irgendwo musste die Selbstsicherheit dieser Frau doch einen Riss haben, der Angst und Zweifel durchließ – vielleicht dachte sie, Volyova habe einen Weg gefunden, Phantom-Emanationen einzufangen, und glaubte tatsächlich, Gespenster zu hören.
    Die Geisterstimmen klangen dumpf und klagend; langgezogene Laute, so leise, dass sie eher zu spüren als zu hören waren. Sie heulten wie der Wind in der unheimlichsten Winternacht, die man sich vorstellen konnte, wie ein Wind, der tausend Meilen weit durch Höhlen geweht war. Aber

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