Unersaettlich - Scharfe Stories
jedem Zug an ihrer Zigarette, mit jedem Zucken ihres Augenlids, mit dem sie irgendeinen Gemeindeskandal kommentiert, den sie im Bridge Club erfahren hat, zu dem sie sich jeden Mittwochnachmittag aufrafft.
Zumindest dachten wir immer, dass sie dorthin geht.
Ich mache dieses Frühjahr mein Examen an der University of Pittsburgh in klassischer Literatur. Mit diesem Abschluss habe ich zwei Möglichkeiten, die beide nicht übel sind: Heirat oder Lehrerin. Ganz offensichtlich stecken mir Tante Sylvias Gene im Blut, was meine Mutter ohne Ende ärgert. Dabei habe ich versucht, sie mir mit guten Noten vom Hals zu halten. Und Daddy? Na
ja, wer weiß schon, was er so denkt. Er behält sich seine Emotionen für seine Anwaltskanzlei vor, und sosehr ich ihn liebe, so distanziert ist doch unser Verhältnis. Seine Versuche, mehr auf mich einzugehen, waren uns beiden so peinlich, dass wir, als ich etwa zwölf war, stillschweigend beschlossen haben, keine schlafenden Hunde mehr zu wecken.
Ich habe es in der letzten Zeit schwer gehabt. Howard Lobkowitz, mein Verlobter, den ich seit dem ersten Tag auf dem College kenne, hat sich drei Wochen vor der von mir exquisit geplanten Country-Club-Hochzeit von mir getrennt und behauptet, er sei noch nicht bereit für eine Bindung. Warum er zu dieser Erkenntnis drei Jahre gebraucht hat, ist mir schleierhaft, obwohl mir rückblickend klar geworden ist, dass es viel zu viele Wochenenden gab, an denen seine Mutter ihn in New Jersey brauchte, an denen er mich nicht zur Hochzeit eines alten Freundes mitnehmen konnte oder er unbedingt alleine auf eine Party gehen musste und so weiter. Und wie oft war er zu müde, wenn er von der Arbeit in der Unternehmensberatung seines Onkels nach Hause kam, so dass sich unsere sexuellen Aktivitäten auf eine Umarmung vor dem Einschlafen beschränkten. Und später ist er dieser dickarschigen Blondine mit den Kuheutern viel zu nahe gekommen, als sie in Pittsburghs angesagtestem vietnamesischem Restaurant eine Nudel von Howies Wange pickte. Und ich erkannte glasklar, dass Howie nur der Erste in einer Reihe von ungeeigneten Männern wäre, die mich unglücklich machten, bis die Menopause oder der Tod mich erretteten.
Danach schnurrte das Leben zu einem kleinen Ball zusammen. Ich verdoppelte meine Anstrengungen, mich abzulenken, indem ich mich beschäftigte, wie meine Mutter mir riet. Ich brach in hektische Aktivitäten aus, nur damit ich in Bewegung blieb. Das verringerte die Qual zu erträglichen Schmerzen, und wenn ich nicht daran rührte, störte es mich auch nicht so sehr.
Tante Sylvia hält für gewöhnlich lockeren Kontakt mit mir, ohne allzu viel Aufhebens darum zu machen. Sie lädt mich zum Beispiel zum Tee ein, den ihr Hausmädchen ihr dann im Bett serviert. Zu meiner großen Überraschung rief sie jedoch letzte Woche an, um mir anzukündigen, sie würde mich zu einer Wohltätigkeitsmodenschau abholen. Es war Mittwoch, ihr heiliger Bridgetermin, und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Andererseits stand mein Geburtstag bevor, und es war typisch für Tante Sylvia, dass sie zu faul war, mir etwas zu kaufen. Da konnte ich mir eher etwas auf der Modenschau aussuchen.
Sie holt mich also in ihrem schwarzen Jaguar ab, in einem einfachen mauvefarbenen Kleid aus Shantung-Seide, das aller Welt sagt, dass sie Kleidergröße 34 hat. Sie ist um die fünfzig, allerdings kommt man nicht sofort darauf, weil sie mindestens dreihunderttausend Dollar für Schönheitsoperationen ausgegeben hat. Sie hat immer schon Lauren Bacalls Frisur, Stimme und Akzent nachgeahmt, und obwohl wir sie seit Jahren drängen, endlich das Rauchen aufzugeben, hat sie viel zu viel Angst davor, ihre Lauren-Bacall-Stimme zu verlieren, und deshalb sagen wir nichts mehr.
Wir fahren die Forbes Avenue hinunter und biegen zu meinem Erstaunen rechts auf den Parkplatz des Mayfair ein.
Vom Mayfair muss ich Ihnen erzählen, oder zumindest von den Legenden, die sich unter Studentinnen aus Pittsburgh darum ranken. Wer weiß schon, was daran wahr ist? Dieses Kleidergeschäft gibt es auf dieser Ecke schon so lange, wie ich denken kann. Es ist ein zweistöckiges, frei stehendes, weiß gestrichenes Backsteingebäude, das irgendwann in der Zeit zwischen den zwanziger Jahren und dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Von den umstehenden Mietshäusern ist es durch eine kleine Freifläche getrennt, die als Parkplatz genutzt wird.
Jedenfalls hat das Mayfair selbst aus meiner Perspektive als
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