Unersaettlich - Scharfe Stories
Grundschullehrerin keinen sichtbaren Geschäftszweck. Es liegt weit weg von anderen Läden, vor dem Haus kann man nicht parken, und das einzige Anzeichen ist der goldene Schriftzug über der Tür. Man muss sich schon vornehmen, dorthin zu fahren. Ich habe auch noch nie eine Anzeige wegen Schlussverkauf oder sonstiger Aktionen gesehen.
Allerdings sieht es absolut wie ein Geschäft aus. Es ist sehr gepflegt, und die Schaufenster vorne und an der Seite sind dekoriert mit vergoldeten Schaufensterpuppen in eleganten Outfits. Ab und zu sieht man einen Schal oder auch eine kleine Clutch Bag, mit denen man das fliehende Kinn oder die dummen Altersflecken kaschieren könnte. Jede Woche wird umdekoriert, aber es gibt nichts wirklich Auffallendes. Man sagt zum Beispiel nie: »Hast du
diese Woche schon die Auslage im Mayfair gesehen? Sie haben ein unglaublich schickes Kleid von Mizrahi dort. Ich sterbe, wenn Daddy/Howie/Mutter/Jerry (oder wer auch immer) es mir nicht kauft.«
Interessant ist auch, dass die Schaufenster durch drei hohe Wandpaneele völlig vom Ladeninneren abgetrennt sind. Man kann nicht hineinsehen, was wir alle blöd fanden, denn wozu soll ein Schaufensterbummel gut sein, wenn man keinen Vorgeschmack auf das bekommt, was sich im Laden abspielt?
Und dann war da noch der zweite Stock. Was befand sich dort? Umkleidekabinen? In jeder Wand sind vier bis sechs Fenster, da das Gebäude lang und schmal ist. Und an jedem Fenster ist eine Stoffjalousie exakt dreiviertel heruntergezogen. Dahinter rührt sich nichts, nur Abends brennt dort oft Licht. Es macht aber nicht den Eindruck einer Wohnung oder eines Büros, weil man dann wenigstens ab und zu jemanden hinter den Fenstern sähe.
Über den Parkplatz lässt sich auch nichts sagen. Er versteckt sich hinter einer sehr hohen Hecke, und es ist nicht zu erkennen, wie viele Leute da sind und welche Autos sie fahren.
Von Zeit zu Zeit wollten wir mal dahinterkommen, was sich wirklich im Mayfair abspielt, aber es kam immer etwas dazwischen, und irgendwann haben wir es vergessen. Jemand meinte, dort würde bestimmt Geld gewaschen, aber dass dort Drogen verschoben würden, glaubten wir alle nicht. Das hätte bestimmt ein paar auffällige Typen angezogen, und das Problem war ja eher, dass dort niemals jemand zu sein schien.
Jetzt biegen wir also in die schmale Einfahrt zum Parkplatz des Mayfair ein, ausgerechnet an einem Mittwochnachmittag, wo Tante Sylvia doch eigentlich Bridge spielen sollte.
»Ich dachte, du gehst mittwochs immer zum Bridge«, sage ich.
»So könnte man es auch nennen«, erwidert sie und fährt auf einen der letzten freien Plätze neben ein gelbes BMW-Cabrio.
Der ursprüngliche Lieferanteneingang ist in einen Haupteingang verwandelt worden, mit einer gelben Tür mit schweren Messingbeschlägen unter einer gelben Markise. Sylvia läutet und präsentiert sich vor dem Guckloch.
Die Tür geht auf, und eine zierliche Frau mit toupierten Haaren in einem roten, schwarz abgesetzten Wollkleid begrüßt uns.
»Mrs. Taubman, was für eine Freude, Sie wiederzusehen. Und ich sehe, Sie haben einen Gast mitgebracht! Wie nett, wir haben heute eine super Party geplant!«
Sie öffnet weit die Tür und führt uns in die Eingangshalle. Sofort tritt ein Butler mit einem Tablett voller Champagnerflöten auf uns zu. Wir nehmen jeder ein Glas.
»Marge, das ist meine Nichte, Rachele Berntsen. Sie hat nächste Woche Geburtstag, und sie muss ein bisschen aufgeheitert werden, deshalb hielt ich das hier genau für das Richtige.«
Marge strahlt mich mit strahlend weißen Zähnen an. »Wie Recht Sie haben, Mrs. Taubman. Wir haben ein paar entzückende neue junge Modelle, die Sie lieben werden,
Schätzchen.« Sie weist mit der Hand auf den Hauptraum, aus dem klassische Musik dringt. Ich höre Männer- und Frauenstimmen und gelegentlich das leise Klirren von Gläsern.
Ich bin völlig fassungslos; das Mayfair ist gar kein Bekleidungsgeschäft. Es scheint so eine Art merkwürdiger Partnerclub zu sein. Überall stehen »Frauen eines gewissen Alters«, wie die Franzosen dazu sagen, herum und reden mit Männern. Bei den Kerlen sind so ziemlich alle Typen vertreten – europäische Adonisse mit langen Haaren und hautengen schwarzen Lederhosen und Pullovern, kalifornische Beach Boys, Matrosen, Latinos, die so aussehen, als würde ihnen gleich die Hose platzen, ein massiver Afrikaner mit rasiertem Schädel in einem prachtvollen orangefarbenen Kaftan, sogar ein Wall-Street-Banker mit
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