Ungeduld des Herzens.
Willen gewesen, aber noch keine bewußte Täuschung, kein grober Betrug. Von nun an hingegen, da ich wußte, daß eine baldige Heilung nicht zu gewärtigen war, hatte ich kalt, zäh, berechnend, ausdauernd mich zu verstellen, ich mußte mit undurchsichtigen Mienen, mit überzeugter Stimme lügen wie ein abgefeimter Verbrecher, der sich Wochen und Monate voraus jede Einzelheit seiner Tat und seiner Verteidigung raffiniert ausdenkt. Zum erstenmal begann ich zu verstehen, daß das Schlimmste auf dieser Welt nicht durch das Böse und Brutale, sondern fast immer nur durch Schwäche verschuldet wird.
Bei den Kekesfalvas geschah dann alles genau, wie ich gefürchtet; kaum daß ich die Turmterrasse betrat, grüßte mich schon begeisterter Empfang. Mit Absicht hatte ich einige Blumen mitgebracht, um den ersten Blick von mir selbst abzulenken. Aber nach einem jähen »Um Himmels willen, wozu bringen Sie mir denn Blumen? Ich bin doch keine Primadonna!« mußte ich mich schon neben die Ungeduldige setzen, und sie begann, ohne innezuhalten. Mit einem gewissen halluzinativen Ton in der Stimme erzählte und erzählte sie, Doktor Condor – »Oh, dieser herrliche, dieser einzige Mensch!« – hätte ihr wieder Mut gemacht. In zehn Tagen reisten sie in ein Sanatorium inder Schweiz, ins Engadin – wozu noch einen Tag versäumen, jetzt da man die Sache endlich scharf angehen wolle? Immer hätte sie's vorausgewußt, daß man alles bisher von der falschen Seite angepackt habe, daß man mit diesem Elektrisieren und Massieren und all den dummen Apparaten allein nicht vorwärtskomme. Bei Gott, es sei aber schon höchste Zeit gewesen, zweimal – sie hätte es mir nie eingestanden – habe sie schon versucht, Schluß mit sich zu machen, zweimal und immer vergeblich. So könne ein Mensch auf die Dauer nicht existieren, keine Stunde wirklich allein, immer angewiesen auf andere mit jedem Handgriff und jedem Schritt, immer bespäht, immer überwacht und dazu noch erdrückt von dem Gefühl, allen andern bloß eine Last, ein Alp, eine Unerträglichkeit zu sein. Ja, es sei Zeit gewesen, höchste Zeit, aber ich würde sehen, wie rasch es jetzt, wenn man's nur richtig anpacke, mit ihrer Genesung vorwärtsgehen würde. Was taugen denn alle diese dummen kleinen Besserungen, die doch nichts besser machten! Als Ganzes müsse man eben gesunden, sonst sei man nicht gesund. Ach, und schon das Vorgefühl, wie wunderbar das wäre, wie wunderbar ...
Das ging so weiter und weiter, ein springender, sprudelnder, sprühender Sturzbach der Ekstase. Wie einem Arzt war mir zumute, der den Fieberphantasien einer Halluzinierenden zuhört und dabei mißtrauisch mit dem unbestechlichen Uhrzeiger die jagenden Pulsschläge nachzählt, weil er dies Glühen und Brennen beunruhigt als triftigsten klinischen Beweis einer Verstörung bewertet. Immer, wenn wie leichter Gischt ein übermütiges Lachen den jagenden Schwall ihres Erzählens übersprühte, schauerte ich zusammen, denn ich wußte doch, was sie nicht wußte – ich wußte, daß sie sich betrog, daß wir sie betrogen. Als sie endlich innehielt, war mir, wie wenn man nachts in einem fahrenden Zug aufschrickt, weil dieRäder plötzlich stoppen. Aber sie hatte sich selbst jäh unterbrochen:
»Nun, was sagen Sie dazu? Warum sitzen Sie denn so dumm – pardon, so erschrocken herum? Warum reden Sie kein Wort? Freuen Sie sich denn gar nicht mit mir?«
Ich fühlte mich ertappt. Jetzt oder nie galt es, den herzlichen, den richtig begeisterten Ton zu finden. Aber ich war erst ein erbärmlicher Neuling im Lügen, ich verstand noch nicht die Kunst des bewußten Betrugs. So stoppelte ich mühsam ein paar Worte zusammen.
»Wie können Sie so was sagen? Ich bin nur ganz überrascht ... das müssen Sie doch verstehen ... und bei uns in Wien sagt man jedesmal von einer großen Freude, daß sie einem ›die Red verschlägt‹ ... Natürlich freue ich mich furchtbar für Sie.«
Es widerte mich selbst an, wie künstlich und kalt das klang. Auch sie mußte meine Hemmung sofort bemerkt haben, denn jählings veränderte sich ihre Haltung. Etwas von der Verdrossenheit eines Menschen, den man aus einem Traum aufrüttelt, verdüsterte ihre Verzückung; die Augen, eben noch von Begeisterung funkelnd, wurden plötzlich hart, der Bogen zwischen den Brauen spannte sich wie zum Schuß.
»Nun – viel habe ich nicht bemerkt von Ihrer großen Freude!«
Ich spürte genau das Beleidigende und versuchte, sie zu beschwichtigen.
»Aber
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