Ungeduld des Herzens.
da vorbrachten, wäre an sich gar nicht so dumm – Verzeihung, ich meine natürlich: im medizinischen Sinne dumm. Sonderbar, wirklich sonderbar – als ich den exaltierten Brief Ediths bekam, habe ich mich selbst einen Augenblick gefragt, ob man, nachdem Sie ihr einmal eingeredet haben, die Genesung rückte jetzt mit Siebenmeilenstiefeln heran, diese leidenschaftliche Einstellung nicht ausnützen sollte ... Gar nicht so übel gedacht, Herr Kollege! Zu inszenieren wäre die Sache ja kinderleicht – ich schicke sie ins Engadin, wo ich einen befreundeten Arzt habe, wir lassen sie im seligen Glauben, es sei die neue Kur, während es in Wirklichkeit die alte ist. Auf den ersten Hieb wäre der Effekt wahrscheinlich famos und wir würden schockweise begeisterte, dankbare Briefe kriegen. Die Illusion, die Luftveränderung, die Ortsveränderung, der verstärkte Energieeinsatz, all das würde ja tatsächlich wacker mithelfen und mitschwindeln: schließlich möchten vierzehn Tage Engadin auch Sie und mich überraschend aufpulvern. Aber, lieber Herr Leutnant, ich als Arzt muß nicht nur an den Anfang denken, sondern auch an den Fortgang und vor allem den Ausgang. Ich muß den Rückschlag in Rechnung stellen, der bei so irrsinnig überspannten Hoffnungen unvermeidlich – jawohl, unvermeidlich! – einsetzen würde; auch als Arzt bleibe ich Schachspieler, Geduldspieler, und darf nicht Hasardeur werden und am wenigsten, wenn ein anderer den Einsatz bezahlen muß.«
»Aber ... aber Sie sind doch selbst der Ansicht, man könnte eine wesentliche Besserung erzielen ...«
»Gewiß – im ersten Anlauf würden wir ein gutes Stück vorwärtskommen, Frauen reagieren doch immer in erstaunlicherWeise auf Gefühle, auf Illusionen. Aber denken Sie sich selber die Situation in ein paar Monaten aus, wenn die sogenannten psychischen Kräfte, von denen wir sprachen, erschöpft sind, der aufgepeitschte Wille verbraucht, die Leidenschaft vertan, und noch immer, nach Wochen und Wochen aufzehrendster Anspannung, stellt sich die Genesung nicht ein, jene totale Genesung, mit der sie doch jetzt rechnet wie mit einer Gewißheit. – Bitte, denken Sie sich das aus in seiner katastrophalen Wirkung auf ein sensibles, ohnehin von Ungeduld schon ganz aufgezehrtes Geschöpf! Es handelt sich bei unserer Sache doch nicht um eine kleine Besserung, sondern um etwas Fundamentales, um die Umstellung von der langsamen und sicheren Methode der Geduld auf die verwegene und gefährliche der Ungeduld! Wie sollte sie je noch Vertrauen haben zu mir, zu einem anderen Arzt, zu irgend einem Menschen, wenn sie sich vorsätzlich getäuscht sieht? Lieber also die Wahrheit, so grausam sie scheint: in der Medizin ist das Messer oft die mildere Methode. Nur nichts hinausschieben! Mit gutem Gewissen könnte ich eine solche Hinterhältigkeit nicht verantworten. Überlegen Sie selbst! Hätten Sie an meiner Stelle den Mut?«
»Ja«, antwortete ich unbedenklich, und erschrak schon im selben Augenblick über das rasche Wort. »Das heißt ...«, fügte ich vorsichtig bei, »ich würde ihr den ganzen Sachverhalt erst eingestehen, sobald sie wenigstens etwas vorwärtsgekommen ist ... Verzeihen Sie, Herr Doktor ... es klingt ziemlich unbescheiden ... aber Sie haben nicht so wie ich in der letzten Zeit beobachten können, wie notwendig diese Menschen etwas brauchen, um sich weiterzuhelfen und ... gewiß, man muß ihr die Wahrheit sagen ... aber doch erst, wenn sie sie ertragen kann ... nicht jetzt, Herr Doktor, ich beschwöre Sie ... nur nicht jetzt ... nur nicht sofort.«
Ich zögerte. Das neugierige Staunen seines Blicks verwirrte mich.
»Aber wann denn? ...« überlegte er. »Und vor allem: wer soll das riskieren? Einmal wird die Aufklärung doch nötig werden, und die Enttäuschung dann hundertmal gefährlicher, ja, lebensgefährlich sein. Würden Sie wirklich eine solche Verantwortung übernehmen?«
»Ja«, sagte ich fest (ich glaube, einzig die Angst, sonst sofort mit ihm hinausfahren zu müssen, gab mir diese jähe Entschlossenheit). »Diese Verantwortung übernehme ich voll und ganz. Ich weiß bestimmt, daß es Edith jetzt unermeßlich helfen würde, wenn man ihr vorläufig die Hoffnung auf eine völlige, endgültige Heilung ließe. Wird es dann nötig sein, sie aufzuklären, daß wir ... daß ich vielleicht zuviel versprochen habe, so werde ich mich ehrlich dazu bekennen, und ich bin überzeugt, sie wird alles verstehen.«
Condor blickte mich starr an. »Donnerwetter«,
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