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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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murmelte er schließlich. »Sie muten sich allerhand zu! Und das Merkwürdigste ist, daß Sie uns andere mit Ihrem Gottesglauben infizieren – erst die draußen und, ich fürchte, allmählich auch mich! – Nun, wenn Sie wirklich diese Verantwortung auf sich nehmen, Edith wieder ins Gleichgewicht zu bringen, falls eine Krise eintreten sollte, dann ... dann bekommt die Sache natürlich ein anderes Gesicht ... dann könnte man vielleicht wirklich riskieren, noch ein paar Tage zuzuwarten, bis ihre Nerven etwas besser sitzen ... Aber bei solchen Verpflichtungen gibt es kein Zurück, Herr Leutnant! Es ist meine Pflicht, Sie zuvor gründlich zu warnen. Wir Ärzte sind vor jeder Operation gebunden, die Beteiligten auf alle möglichen Gefahren aufmerksam zu machen – einer schon so lange Gelähmten zu versprechen, sie werde in kürzester Zeit völlig geheilt werden, bedeutet einen nicht minder verantwortlichen Eingriff als den mit dem Skalpell. ÜberlegenSie also genau, was Sie auf sich nehmen – es gehört unermeßliche Kraft dazu, einen Menschen wieder aufzurichten, den man einmal betrogen hat! Ich liebe keine Undeutlichkeiten. Ehe ich von meiner eigentlichen Absicht abstehe, die Kekesfalvas sofort und ehrlich aufzuklären, daß jene Methode in unserem Fall unanwendbar ist, und wir leider noch viel Geduld von ihnen fordern müssen, muß ich wissen, ob ich mich auf Sie verlassen kann. Kann ich unbedingt darauf zählen, daß Sie mich dann nicht im Stich lassen?«
    »Unbedingt.«
    »Gut.« Condor schob das Glas mit einem Ruck von sich. Wir hatten keiner einen Tropfen getrunken. »Oder vielmehr: hoffen wir, daß es gut ausgeht, denn ganz behaglich fühl ich mich bei diesem Hinausschieben nicht. Ich werde Ihnen jetzt genau sagen, wie weit ich gehe – keinen Schritt über die Wahrheit hinaus. Ich rate zu einer Kur im Engadin, aber ich erkläre, daß die Methode Viennots keineswegs ausgeprobt ist und betone ausdrücklich, daß sie beide keine Wunder erwarten sollen. Benebeln sie sich im Vertrauen auf Sie trotzdem mit unsinnigen Hoffnungen, so wird es an Ihnen sein – ich habe Ihre Zusage –, die Sache, Ihre Sache, rechtzeitig ins reine zu bringen. Vielleicht begehe ich ein gewisses Wagnis, wenn ich Ihnen mehr vertraue als meinem ärztlichen Gewissen – nun, das will ich auf mich nehmen. Schließlich meinen wir es beide mit dieser armen Kranken gleich gut.«
    Condor erhob sich. »Wie gesagt, ich rechne auf Sie, wenn irgendeine Krise der Enttäuschung eintreten sollte; hoffentlich erreicht Ihre Ungeduld mehr als meine Geduld. Lassen wir also dem armen Kind noch ein paar Wochen Zuversicht! Und bringen wir sie wirklich inzwischen ein anständiges Stück vorwärts, dann haben Sie ihr geholfen und nicht ich. Erledigt! Es ist höchste Zeit. Ich werde draußen erwartet.«
    Wir verließen das Lokal. Der Wagen stand vor dem Hause für ihn bereit. Im letzten Augenblick, da Condor schon eingestiegen war, zuckte mir noch die Lippe, als wollte sie ihn zurückrufen. Aber schon zogen die Pferde an. Der Wagen und damit das Unabänderliche waren in vollem Gang.
    Drei Stunden später fand ich auf meinem Tisch in der Kaserne ein Billett, hastig geschrieben und von dem Chauffeur gebracht. »Kommen Sie morgen möglichst früh. Es ist furchtbar viel zu erzählen. Eben war Doktor Condor hier. In zehn Tagen fahren wir weg. Ich bin schrecklich glücklich. Edith.«
    Sonderbar, daß mir gerade in dieser Nacht jenes Buch in die Hand geriet. Ich war im allgemeinen ein schwacher Leser, und auf dem wackligen offenen Regal meiner ärarischen Bude standen einzig die sechs oder acht militärischen Bände wie das Dienstreglement und der Armeeschematismus, die für unsereins das Alpha und Omega sind, neben etwa zwei Dutzend Klassikern, die ich, ohne sie je aufzuschlagen, seit der Kadettenschule in jede Garnison mitschleppte – vielleicht nur, um diesen kahlen fremden Zimmern, in denen ich zu hausen genötigt war, einen Schein und Schatten persönlicher Habe zu geben. Dazwischen lagen noch halbaufgeschnitten ein paar schlechtgedruckte, schlechtgeheftete Bücher herum, die mir auf merkwürdige Weise zugekommen waren. Manchmal erschien nämlich in unserem Kaffeehaus ein kleiner buckliger Hausierer mit sonderbar wehmütigen Triefaugen, der auf unwiderstehlich zudringliche Art Briefpapier, Bleistifte und billige Schundbücher anbot, meist solche, für die er sich in kavalleristischen Kreisen den besten Absatz erhoffte: die sogenannte galante Literatur wie

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