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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Samariter kommen Sie zu dem ›armen, kranken Kind‹ – so nennt ihr mich wohl alle, wenn ich nicht dabei bin, ich weiß schon, ich weiß. Nur aus Mitleid kommen Sie, ja, ja, ich glaub's Ihnen schon – warum wollen Sie's jetzt wieder ableugnen? Sie sind doch ein sogenannter ›guter‹ Mensch und lassen sich gern von meinem Vater so nennen. Solche ›gute Menschen‹ haben Mitleid mit jedem geprügelten Hund und jeder räudigen Katze – warum nicht auch mit einem Krüppel?«
    Und plötzlich bäumte sie sich auf, ein Krampf überlief ihren ungelenken Körper.
    »Aber danke schön! Ich pfeife auf diese Art Freundschaft, die nur meiner Krüppelei gilt ... Ja, machen Sie nicht so zerknirschte Augen! Natürlich tut's Ihnen leid, daß Ihnen die Wahrheit herausgerutscht ist, daß Sieeingestanden haben, Sie kommen nur, weil ich Sie ›derbarmen tu‹, wie jenes Dienstmädchen sagte – nur die hat's ehrlich gesagt und grad heraus. Sie aber drücken sich als ›guter Mensch‹ viel schonender, viel ›zartfühlender‹ aus, Sie sagen um die Ecke herum: weil ich so allein hier hocke den ganzen Tag. Nur aus Mitleid, das spür ich doch längst in allen Gliedern, nur aus Mitleid kommen Sie und möchten noch gern bewundert sein für Dero gnädige Aufopferung – aber bedaure, ich will nicht, daß jemand mir Opfer bringt! Von niemandem dulde ich's und am wenigsten von Ihnen ... ich verbiete es Ihnen, hören Sie, ich verbiet es Ihnen ... Glauben Sie, daß ich wirklich angewiesen bin auf Euer Herumsitzen mit Euren ›teilnehmenden‹, Euren feuchten, schwammigen Blicken oder auf Euer ›schonendes‹ Geschwätz ... Nein, Gott sei Dank, ich brauch Euch alle nicht ... Ich werde schon selber fertig mit mir, ich steh's schon allein durch. Und wenn's nicht weiter geht, dann weiß ich schon, wie ich loskomme von Euch ... Da!« – sie stieß mir plötzlich die umgewendete Hand entgegen – »Hier, sehen Sie die Narbe! Einmal hab ich's schon probiert, ich war nur ungeschickt und hab mit der stumpfen Schere den Puls nicht erwischt; dummerweise kamen sie noch zurecht und konnten mich verbinden, sonst war ich Euch alle schon los und Euer schuftiges Mitleid! Aber nächstes Mal mach ich's besser, verlassen Sie sich darauf! Glaubt nur ja nicht, daß ich schon ganz wehrlos Euch ausgeliefert bin! Lieber krepieren, als mich bemitleiden lassen! Da!« – sie lachte plötzlich auf, das Lachen riß scharf und zerfranst wie eine Säge – »Da sehen Sie her, das hat mein besorgter Herr Vater vergessen, als er den Turm für mich herrichten ließ ... Nur daran, daß ich eine schöne Aussicht haben soll, hat er gedacht ... Viel Sonne, viel Sonne und gute Luft, hat ja der Arzt gesagt. Aber wie gut sie mir einmal dienen kann, die Terrasse, das ist ihnen allen nicht eingefallen, nicht dem Vater, nichtdem Arzt, nicht dem Architekten ... Schauen Sie einmal da herunter ...« – sie hatte sich plötzlich aufgestemmt und mit einem jähen Ruck ihren schwankenden Körper hingeworfen bis an das Geländer, das sie jetzt grimmig mit beiden Händen umklammerte – »vier, fünf Stockwerke geht's hier hinab und unten ist harter Stein ... das reicht aus ... und soviel Kraft habe ich gottlob in den Muskeln, um über's Geländer zu kommen – ja, vom Krückengehen kriegt man stramme Muskeln. Nur einen Ruck braucht's und ich bin Eure verfluchte Bemitleiderei ein für allemal los, und Euch allen wäre dann wohl, dem Vater und Ilona und Ihnen – Euch allen, auf denen ich Unwesen laste wie ein Alp ... Sehen Sie, ganz leicht geht's, nur so ein bißchen sich herunterbeugen und dann ...«
    In äußerster Besorgnis war ich aufgesprungen, als sie sich, mit blitzenden Augen, gefährlich tief über die Balustrade beugte, und ich packte rasch ihren Arm. Aber, als hätte ihr Feuer die Haut angesprüht, zuckte sie auf und schrie mich an:
    »Weg! ... Wie können Sie sich unterstehen, mich anzurühren! ... Weg! ... Ich habe das Recht, zu tun, was ich will. Los! ... Sofort lassen Sie mich los!«
    Und da ich nicht gehorchte, da ich versuchte, sie gewaltsam vom Geländer abzudrängen, warf sie plötzlich den Oberkörper herum und gab mir mitten in die Brust einen Stoß. Und nun geschah das Entsetzliche. Mit diesem Stoß verlor sie den Stützpunkt und damit das Gleichgewicht. Wie von einer Sense durchschnitten, gaben die lockeren Knie völlig nach. Mit einem Ruck sackte sie in sich zusammen, und dadurch, daß sie sich im Hinstürzen an dem Tisch festhalten wollte, riß ihr Fall die

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