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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ganze Platte mit. Über sie und mich, der ich im letzten Augenblick die ungelenk Hintaumelnde noch aufzufangen suchte, klirrte jetzt zerbrechend die Vase, schmetterten die Teller und Tassen, rasselten die Löffel; laut schlugdie große bronzene Glocke zu Boden und rollte mit lärmendem Klöppel die ganze Terrasse entlang.
    Die Gelähmte war unterdes elend in sich zusammengestürzt, wehrlos lag sie am Boden, ein zuckendes Bündel Zorn, aufschluchzend vor Erbitterung und Scham. Ich versuchte den leichten Körper aufzuheben, aber sie wehrte sich und heulte mir entgegen:
    »Weg ... weg ... weg, Sie gemeiner, Sie roher Mensch ...«
    Und dabei schlug sie mit den Armen um sich, immer wieder versuchend, sich ohne meine Hilfe aufzurichten. Jedesmal indes, wenn ich mich näherte, um ihr behilflich zu sein, krümmte sie sich widerstrebend und schrie mich an in ihrem tollen wehrlosen Zorn: »Weg ... nicht mich anrühren ... fort mit Ihnen!« Nie hatte ich etwas Furchtbareres erlebt.
    In diesem Augenblick surrte leise etwas hinter uns. Es war der Lift, der herauffuhr; anscheinend hatte die Glocke im Niederkollern Lärm genug gemacht, um den immer bereiten Diener zu rufen. Eilends trat er, die erschrockenen Augen sofort diskret niederschlagend, heran, hob, ohne mich anzusehen, den zuckenden Körper – er mußte den Griff gewohnt sein – leicht auf und trug die Schluchzende hin zum Fahrstuhl. Eine Minute, und schon surrte der Lift leise wieder hinab; ich blieb allein zwischen dem umgestürzten Tisch, den zerschlagenen Tassen, den verstreuten Dingen, die so wirr durcheinanderlagen, als wäre ein Blitz mitten aus heiterm Himmel niedergefahren und hätte sie mit explosivem Einschlag nach allen Seiten versprengt.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so auf der Terrasse inmitten der zerschellten Teller und Tassen herumstand, völlig perplex von diesem elementaren Ausbruch, für den mirjede Deutung fehlte. Was hatte ich denn Törichtes gesagt? Womit diesen unerklärlichen Zorn herausgefordert? Aber da kam schon wieder von rückwärts das wohlbekannte windfangartige Geräusch; der Lift fuhr neuerdings empor, abermals näherte sich Josef, der Diener, einen Schatten merkwürdiger Trauer über seinem wie immer wohlrasierten Gesicht. Ich dachte, er käme nur, um aufzuräumen, und fühlte mich geniert, inmitten dieses Trümmerhaufens ihm hinderlich zu sein. Doch unmerklich schob er sich mit gesenkten Augen an mich heran, gleichzeitig eine Serviette vom Boden aufnehmend.
    »Verzeihen Herr Leutnant«, sagte er mit seiner diskret gedämpften Stimme, die gleichsam immer mit einer Verbeugung sprach (ach, er war ein Diener vom alten österreichischen Schlag). »Erlauben, daß ich Herrn Leutnant ein wenig abtrockne.«
    Nun bemerkte ich erst, seinen beschäftigten Fingern folgend, an meiner Bluse und meiner hellen Pejacsevichhose je einen großen nassen Fleck. Offenbar hatte, während ich mich niederbeugte, um der Stürzenden aufzuhelfen, eine der im Fall mitgerissenen Teeschalen mich angeschüttet, denn sorgfältig rieb und tupfte der Diener mit der Serviette an den nassen Stellen herum. Ich aber blickte, indes er hingekniet sich bemühte, von oben auf sein gutes graues Haupt mit dem treuen Scheitel; ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, der alte Mann bücke sich absichtlich so tief, damit ich nicht sein Antlitz und seinen erschütterten Blick gewahre.

»Nein, so geht's nicht«, äußerte er schließlich betrübt, ohne den Kopf zu heben. »Am besten, Herr Leutnant, ich schick den Chauffeur in die Kaserne und laß einen anderen Rock holen. So können Herr Leutnant nicht ausgehen. Aber verlassen sich Herr Leutnant darauf, in einer Stunde ist alles getrocknet und ich bügel die Hose gleich sauber auf.«
    Er konstatierte das alles scheinbar bloß fachmännischbeflissen. Aber ein anteilnehmender und etwas bestürzter Ton klang verräterisch mit. Und als ich ihm bedeutete, nein, das sei gar nicht nötig, er solle lieber um einen Wagen telephonieren, ich wolle ohnehin gleich nach Hause, da räusperte er sich unvermutet und hob seine guten, etwas müden Augen bittend empor.
    »Bitte, wollten Herr Leutnant noch ein bißchen bleiben. Es wäre schrecklich, wenn Herr Leutnant jetzt fortgingen. Ich weiß bestimmt, das gnädige Fräulein würden sich furchtbar aufregen, wenn Herr Leutnant nicht noch etwas warteten. Jetzt sind Fräulein Ilona noch bei ihr ... und ... haben sie zu Bett gebracht. Aber Fräulein Ilona hat mir aufgetragen, zu sagen, sie käme

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