Ungeduld des Herzens.
einer Sekunde schließt sich mit jener rapiden Geschwindigkeit, mit der unser Gehirn in angespannten Momenten funktioniert, an jenen ersten Gedanken schon eine ganze Kette. Er ist in Zivil, er ist sein eigener Herr. Er hat selber Ähnliches durchgemacht. Er hat dem Schwager des Ferencz geholfen, er hilft jedem gern, warum sollte er nicht auch mir behilflich sein? Ehe ich noch recht Atem geschöpft habe, ist diese ganze fliegende, flirrende Kette blitzschneller Überlegungen schon zu einem jähen Entschluß zusammengeschweißt. Ich fasse Mut und trete an Balinkay heran.
»Verzeih«, sage ich und staune selbst über meine Unbefangenheit. »Aber hättest vielleicht fünf Minuten Zeit für mich?«
Er stutzt ein wenig, dann blinken seine Zähne hell.
»Mit Wonne, lieber Hoff... Hoff...«
»Hofmiller«, ergänze ich.
»Ganz zu deiner Verfügung. Wäre noch schöner, wenn man keine Zeit hätt für einen Kameraden. Willst herunten im Restaurant, oder gehen wir hinauf auf mein Zimmer?«
»Lieber oben, wenn's dir gleich ist, und wirklich nur fünf Minuten. Ich halt dich nicht auf.«
»Aber solang du willst. Bis die Kraxen da repariert ist, dauert's ohnehin noch eine halbe Stund. Nur sehr bequem wirst du's oben bei mir nicht finden. Der Wirt will mirimmer das noble Zimmer im ersten Stock geben, aber aus einer g'wissen Sentimentalität nehm ich immer das alte von damals. Ich hab da einmal ... na, reden wir nicht davon.«
Wir gehen hinauf. Wirklich, auffällig bescheiden ist das Zimmer für den reichen Burschen. Einbettig, kein Kasten, kein Fauteuil, gerade nur zwei magere Strohsessel zwischen Fenster und Bett. Balinkay zieht seine goldene Tabatière, bietet mir eine Zigarette an und macht mir's erfreulich leicht, indem er geradewegs anfängt:
»Also lieber Hofmiller, womit kann ich dir dienen?«
Kein langes Hin und Her, denke ich mir, und so sage ich klar heraus:
»Ich möchte dich um deinen Rat bitten, Balinkay. Ich will quittieren und weg aus Österreich. Vielleicht weißt was für mich.«
Balinkay wird mit einem Mal ernst. Sein Gesicht strafft sich. Er wirft die Zigarette weg.
»Unsinn – ein Bursch wie du! Was fällt dir denn ein!«
Aber in mich ist plötzlich eine zähe Hartnäckigkeit gefahren. Ich spüre den Entschluß, an den ich vor zehn Minuten noch gar nicht dachte, in mir starr und stark werden wie Stahl.
»Lieber Balinkay«, sage ich auf jene knappe Art, die jede Diskussion abwehrt, »sei so freundlich und erlaß mir jede Explikation. Jeder weiß, was er will und was er muß. Von außen kann so was kein anderer verstehn. Glaub mir, ich muß jetzt den Strich ziehen.«
Balinkay sieht mich prüfend an. Er muß bemerkt haben, daß es mir ernst ist.
»Ich will mich ja net einmengen, aber glaub mir, Hofmiller, du machst einen Unsinn. Du weißt nicht, was du tust. Du bist heut, schätz ich, so um die fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig und nicht weit vom Oberleutnant. Und das ist immerhin schon allerhand. Hier hastdeinen Rang, hier stellst was vor. Aber im Augenblick, wo du was andres neu anfangen willst, ist der letzte Schubiak und der dreckigste Ladenschwengel dir über, schon weil er nicht alle unsere dummen Vorurteile wie einen Tornister auf dem Buckel schleppt. Glaub mir, wenn unsereins die Uniform auszieht, dann bleibt nicht mehr viel von dem, der man früher war, und ich bitt dich nur eins: täusch dich nicht, weil's gerade mir gelungen ist, aus dem Dreck wieder herauszukommen. Das war ein purer Zufall, wie er in tausend Fällen einmal passiert, und ich möcht lieber nicht wissen, was mit den andern heut los ist, denen der Herrgott nicht so freundlich wie mir den Steigbügel hingehalten hat.«
Es ist etwas Überzeugendes in seiner Entschiedenheit. Aber ich spüre, daß ich nicht nachgeben darf.
»Ich weiß schon«, bestätige ich, »daß es ein Rutsch nach unten ist. Aber ich muß eben fort, und da bleibt keine Wahl. Tu mir die Lieb und red mir jetzt nicht ab. Was B'sondres bin ich nicht, das weiß ich, und hab auch nichts B'sondres g'lernt, aber wenn du mich wirklich wo hinempfehlen willst, kann ich versprechen, dir keine Schand zu machen. Ich weiß, daß ich nicht der erste bin, du hast ja auch den Schwager vom Ferencz untergebracht.«
»Den Jonas« – schnippt Balinkay verächtlich mit der Hand, »aber ich bitt dich, wer war denn der? Ein kleiner Beamter in der Provinz. So einem ist leicht zu helfen. Den braucht man nur von einem Hocker auf einen etwas besseren zu setzen, und er kommt sich
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