Ungeduld des Herzens.
irgendein wildfremdes Wesen dich liebt! Hol die ganzenKekesfalvas der Teufel! Ich habe sie früher nicht gekannt und will sie weiter nicht kennen. Aber dann schauert mich plötzlich der Gedanke an: vielleicht hat sie sich etwas angetan, weil ich nicht geantwortet habe! Vielleicht tut sie sich etwas an! Man darf einen verzweifelten Menschen nicht ganz ohne Antwort lassen! Ob ich nicht doch Kusma aufwecke und rasch ein Wort der Beruhigung, der Bestätigung hinausschicke? Nur keine Schuld auf sich nehmen, keine Schuld! So reiße ich das Kuvert auf. Gottlob, es ist nur ein kurzer Brief. Nur eine einzige Seite, nur zehn Zeilen ohne Überschrift:
»Vernichten Sie sofort meinen früheren Brief! Ich war verrückt, völlig verrückt. Alles, was ich schrieb, ist nicht wahr. Und kommen Sie morgen nicht zu uns! Bitte bestimmt nicht kommen! Ich muß mich bestrafen dafür, daß ich mich so kläglich vor Ihnen erniedrigt habe. Also auf keinen Fall morgen, ich will nicht, ich verbiete es Ihnen. Und keine Antwort! Auf keinen Fall eine Antwort! Vernichten Sie zuverlässig meinen früheren Brief, vergessen Sie jedes Wort! Und denken Sie nicht mehr daran.«
Nicht daran denken – kindischer Befehl, als wären jemals erregte Nerven gesinnt, Zügel und Zaum des Willens sich zu unterwerfen! Nicht daran denken, indes die Gedanken wie scheue, losgerissene Pferde mit schmerzhaft hämmernden Hufen in dem engen Raum zwischen den Schläfen jagen! Nicht daran denken, indes die Erinnerung unablässig Bild auf Bild fiebernd heranreißt, indes die Nerven flirren und flackern und alle Sinne sich spannen zur Abwehr und Gegenwehr! Nicht daran denken, indes das Briefblatt einem die Hand noch versengt mit seinen brennenden Worten, das Briefblatt, das eine und das andere, das man aufnimmt und wieder weglegt und wieder liest und vergleicht, das erste und das zweite, bisjedes Wort eingeglüht ist wie ein Brandmal im Gehirn! Nicht daran denken, indes man doch nur dies eine und eine zu denken vermag: wie entrinnen, wie sich wehren? Wie sich retten vor diesem gierigen Andrang, vor diesem unerwünschten Überschwang?
Nicht daran denken, – man will es doch selbst und löscht das Licht, weil Licht alle Gedanken zu wach, zu wirklich macht. Man sucht unterzukriechen, sich zu verstecken im Dunkel, man reißt die Kleider vom Leibe, um freier zu atmen, man wirft sich hin auf das Bett, um sich fühlloser zu machen. Aber die Gedanken, sie ruhen nicht mit, wie Fledermäuse wirr und gespenstisch umflattern sie die ermatteten Sinne, gierig wie Ratten knabbern und wühlen sie sich durch die bleierne Müdigkeit. Je ruhiger man liegt, um so unruhiger wird das Erinnern, um so erregender die flackernden Bilder im Dunkeln; so steht man wieder auf und macht neuerdings Licht, um die Gespenster zu scheuchen. Aber das erste Ding, das die Lampe feindselig faßt, ist das helle Viereck des Briefs, und um den Stuhl hängt die Bluse, die befleckte, alles erinnert und mahnt. Nicht daran denken – man will es doch selbst und kein Wille vermag's. So irrt man im Zimmer hin und her und her und hin, reißt den Kasten auf und im Kasten die Laden, eine nach der andern, bis man die kleine Glashülse findet mit einem Schlafmittel und hinwankt zu dem Bett. Aber es gibt keine Flucht. Selbst in den Traum wühlen sich, die schwarze Schale des Schlafs durchnagend, die rastlosen Ratten der schwarzen Gedanken, immer dieselben, immer dieselben, und da man morgens erwacht, fühlt man sich wie ausgehöhlt und ausgeblutet von Vampiren.
Wohltat darum die Reveille, Wohltat der Dienst, diese bessere, diese mildere Gefangenschaft! Wohltat, sich auf sein Pferd zu schwingen und vorwärts im Trab mit den andern, ununterbrochen achtsam sein zu müssen undangespannt! Man hat zu gehorchen, man hat zu befehlen! Drei Exerzierstunden, vier Stunden vielleicht entrinnt, entreitet man sich selbst.
Alles geht zuerst gut. Wir haben – gesegneterweise – einen scharfen Tag, Übung für das Manöver, die große Schlußdefilierung, wo jede Eskadron in entwickelter Linie am Kommandierenden vorüberreitet, jeder Pferdekopf, jede Säbelspitze haarscharf ausgerichtet. Bei solchen Paradestücken gibt es verdammt viel zu tun, zehnmal, zwanzigmal heißt es von neuem beginnen, jeden einzelnen Ulanen im Auge behalten, und so sehr fordert die Übung von jedem unter uns Offizieren angespannteste Aufmerksamkeit, daß ich unentrinnbar ganz bei der Sache bin und alles andere vergesse. Gottlob!
Aber während wir zehn Minuten
Weitere Kostenlose Bücher