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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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besonderen Umstände ... Glauben Sie mir, Herr von Kekesfalva, es ist unmöglich, so redlich, so aufrichtig ich Ihre Tochter schätze und ... und ... und gern habe ... aber das müssen Sie doch verstehen.«
    Der alte Mann blieb unbeweglich. Zuerst meinte ich, er hätte gar nicht begriffen, was ich sagte. Aber allmählich ging eine Bewegung durch seinen kraftlosen Körper. Mühsam hob er den Kopf und starrte vor sich hin ins Leere. Dann griff er mit beiden Händen an die Tischkante, und ich merkte, er wollte den lastenden Körper aufstemmen, er wollte aufstehen, jedoch es gelang ihm nicht gleich. Zweimal, dreimal versagte ihm die Kraft. Endlich arbeitete er sich hoch und stand, schwankend noch von der Anstrengung, dunkel im Dunkel, die Pupillen starr wie schwarzes Glas. Dann sagte er mit einem ganz fremden, einem grauenhaft gleichgültigen Ton, als ob seine eigene, seine menschliche Stimme ihm gestorben wäre, vor sich hin:
    »Dann ... dann ist eben alles vorbei.«
    Entsetzlich war dieser Ton, entsetzlich dies völlige Sichaufgeben. Noch immer den Blick starr ins Leere gerichtet, tappte er, ohne niederzuschauen, mit der Hand die Tischplatte entlang nach der Brille. Aber er stülpte sie nicht vor die steinernen Augen – wozu noch sehen? wozu noch leben? – sondern stopfte sie ungelenk in die Tasche. Abermals wanderten die bläulichen Finger (in denen Condor den Tod gesehen) rings um den Tisch, bis sie am Rande endlich auch den schwarzen zerknüllten Hut ertasteten. Dann erst wandte er sich zum Gehen und murmelte, ohne mich anzuschauen:
    »Verzeihen Sie die Störung.«
    Er hatte sich den Hut schief auf den Kopf gestülpt; die Füße gehorchten ihm nicht recht, sie schlurften und schwankten ohne Kraft. Wie ein Schlafwandler taumelte er weiter, der Tür zu. Dann, als ob er sich plötzlich an etwas erinnert hätte, nahm er den Hut ab, verbeugte sich und wiederholte:
    »Verzeihen Sie die Störung.«
    Er verbeugte sich vor mir, der alte geschlagene Mann, und gerade diese Geste der Höflichkeit inmitten seiner Verstörung zernichtete mich. Plötzlich spürte ich es wieder in mir, dies Warme, dies Heiße, dies Quellende, dies Strömende, das aufstieg und mir bis in die Augen brannte, und gleichzeitig jenes Weichwerden und Schwachwerden: abermals fühlte ich mich vom Mitleid übermannt. Ich konnte ihn doch nicht so fortlassen, den alten Mann, der gekommen war, um mir sein Kind, sein Einzigstes auf Erden anzubieten, nicht fortlassen in die Verzweiflung, in den Tod. Ich konnte ihm doch nicht das Leben aus dem Leibe reißen. Ich mußte noch etwas sagen, etwas Tröstliches, Beruhigendes, Beschwichtigendes. So eilte ich ihm hastig nach.
    »Herr von Kekesfalva, bitte, mißverstehen Sie michdoch nicht ... Sie dürfen keinesfalls so fortgehen und ihr am Ende sagen ... das wäre ja furchtbar in diesem Augenblick für sie und ... und es wäre auch gar nicht wahr.«
    Immer heftiger wurde meine Erregung, denn ich spürte, daß der alte Mann mich gar nicht anhörte. Eine Salzsäule seiner Verzweiflung, stand er starr, ein Schatten im Schatten, ein lebendiger Tod. Immer leidenschaftlicher wurde mein Bedürfnis, ihn zu beruhigen.
    »Es wäre wirklich nicht wahr, Herr von Kekesfalva, ich schwöre es Ihnen ... und nichts wäre mir so schrecklich, als Ihre Tochter, als Edith zu ... kränken oder ... oder in ihr das Gefühl aufkommen zu lassen, ich hätte sie nicht aufrichtig gern ... niemand empfindet doch herzlicher für sie, ich schwöre es Ihnen, niemand kann sie lieber haben als ich ... es ist wirklich nur ein Wahn von ihr, daß ... sie mir gleichgültig ist ... im Gegenteil ... im Gegenteil ... ich meinte doch bloß, es hätte keinen Sinn, wenn ich jetzt ... wenn ich heute etwas sagte ... zunächst ist nur eines wichtig ... daß sie sich schont ... daß sie wirklich geheilt wird!«
    »Aber dann ... wenn sie geheilt ist ...?«
    Er hatte sich mir plötzlich zugewandt. Die Pupillen, eben noch starr und tot, phosphoreszierten im Dunkel.
    Ich erschrak. Ich spürte instinktiv die Gefahr. Wenn ich jetzt etwas versprach, war ich verpflichtet. Aber in diesem Augenblick fiel mir ein: es ist doch alles Täuschung, was sie erhofft. Sie wird doch auf keinen Fall sofort geheilt. Es kann noch Jahre dauern und Jahre; nicht zu weit denken, hat Condor gesagt, nur sie jetzt beruhigen, sie trösten! Warum ihr nicht etwas Hoffnung lassen, warum sie nicht glücklich machen, wenigstens für eine kurze Frist? Und so sagte ich:
    »Ja, wenn sie geheilt ist, dann

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