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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ich, daß er heftig zu zittern begonnen hat. Dann murmelt er beinahe unverständlich:
    »›Es hat keinen Sinn mehr, daß ich geheilt werde‹, sagt sie und schluchzt sie, ›denn er ... er ...‹«
    Der alte Mann schöpft Atem wie vor einer großen Anstrengung. Dann stößt er endlich heraus »›Er ... er hat ja doch nichts als Mitleid für mich.‹«
    Eiskalt wird mir mit einem Mal, wie Kekesfalva dieses Wort »er« ausspricht. Es ist das erste Mal, daß er zu mir eine Andeutung über das Gefühl seiner Tochter macht.Schon lange war mir aufgefallen, daß er mich zusehends mied, ja daß er kaum wagte, mich anzublicken, während er sich doch vordem so zart und dringlich um mich bemüht hatte. Aber ich wußte, daß es Scham war, die ihn von mir weghielt; schrecklich mußte es doch für diesen alten Mann gewesen sein, mitanzusehen, wie seine Tochter um einen Menschen warb, der vor ihr flüchtete. Entsetzlich gequält mußten ihn ihre geheimen Geständnisse haben, maßlos beschämt ihr unverhohlenes Verlangen. Auch er hatte, wie ich selbst, die Unbefangenheit verloren. Wer etwas verbirgt oder verbergen muß, verliert den offenen und freien Blick.
    Aber jetzt war es ausgesprochen und derselbe Schlag uns beiden aufs Herz gefallen. Beide sitzen wir nach diesem einen verräterischen Wort stumm und vermeiden, einer den andern anzublicken. In dem schmalen Raum über dem Tisch zwischen uns steht ein Schweigen in der starren Luft. Aber allmählich dehnt sich dieses Schweigen; wie ein schwarzes Gas schwillt es auf bis zur Decke und füllt das ganze Zimmer; von oben, von unten, von allen Seiten drückt und drängt diese Leere auf uns ein, und ich höre an den gepreßten Stößen seines Atems, wie sehr das Schweigen ihm die Kehle würgt. Ein Augenblick noch, und dieser Druck muß uns beide ersticken oder einer von uns muß auffahren und sie mit einem Wort zerschlagen, diese drückende, diese mörderische Leere.
    Da plötzlich geschieht etwas: ich merke zuerst nur, daß er eine Bewegung macht, eine merkwürdig plumpe und ungeschickte Bewegung. Und dann, daß der alte Mann jählings wie eine weiche Masse vom Sessel niederfällt. Hinter ihm poltert und stürzt krachend der Stuhl.
    Ein Anfall, ist mein erster Gedanke. Ein Schlaganfall, er ist ja herzkrank, Condor hat es mir gesagt. Entsetzt springe ich hin, um ihm aufzuhelfen und ihn auf das Sofa zu betten. Aber in diesem Moment gewahre ich – der alteMann ist gar nicht gestürzt, gar nicht herabgefallen vom Sessel. Er hat sich selber herabgestoßen. Er ist – im ersten erregten Zuspringen war dies mir völlig entgangen – absichtlich in die Knie gesunken und jetzt, da ich ihn aufheben will, rutscht er näher heran, packt meine Hände und bettelt:
    »Sie müssen ihr helfen ... nur Sie können ihr helfen, nur Sie ... auch Condor sagt es: nur Sie und kein anderer! ... ich flehe sie an, erbarmen Sie sich ... es geht nicht so weiter ... sie tut sich sonst etwas an, sie richtet sich selbst zugrunde.«
    So sehr mir die Hände beben, ich reiße den Hingeknieten gewaltsam wieder empor. Aber er packt meine helfenden Arme, wie Krallen spüre ich die verzweifelt angepreßten Finger in meinem Fleisch – der Djinn, der Djinn meines Traums, der den Mitleidigen vergewaltigt. »Helfen Sie ihr«, keucht er. »Um Himmels willen, helfen Sie ihr ... Man kann das Kind doch nicht in diesem Zustand lassen ... es geht, ich schwör es Ihnen, um Leben und Tod ... Sie können sich nicht vorstellen, was für unsinnige Dinge sie in ihrer Verzweiflung sagt ... Sie müsse sich wegschaffen, sich aus dem Weg räumen, schluchzt sie, damit Sie Ruhe hätten und wir alle endlich Ruhe vor ihr ... Und das sagt sie nicht nur so, das ist furchtbar ernst bei ihr ... Zweimal hat sie's schon versucht, die Pulsadern hat sie sich aufgeschnitten und das andere Mal mit dem Schlafmittel. Wenn sie einmal etwas will, dann kann sie niemand mehr davon abbringen, niemand ... nur Sie können sie jetzt retten, nur Sie ... ich schwöre es Ihnen, nur Sie allein ...«
    »Aber selbstverständlich, Herr von Kekesfalva ... bitte beruhigen Sie sich nur ... es ist doch selbstverständlich, daß ich alles tue, was mir möglich ist. Wenn Sie wollen, fahren wir jetzt sofort hinaus und ich versuche, ihr zuzureden. Sofort fahre ich mit Ihnen. Bestimmen Sie selbst, was ich ihr sagen soll, was ich tun soll ...«
    Er ließ plötzlich meinen Arm los und starrte mich an. »Was Sie tun sollen? ... Verstehen Sie denn wirklich nicht oder wollen Sie

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