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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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kein klarer und am allerwenigsten ein freudiger Mensch, der da die lange Chaussee – oder schien sie mir nur diesmal so endlos? – mit hämmerndem Herzen hinauszögerte zu dem gefürchteten Haus.
    Alles aber fügte sich leichter, als ich gedacht. Eine andere, eine bessere Betäubung erwartete mich, eine feinere, eine reinere Trunkenheit, als ich sie im groben Fusel gesucht. Denn auch Eitelkeit betört, auch Dankbarkeit betäubt, auch Zärtlichkeit kann beseligend verwirren. An der Tür schrak der alte brave Josef ganz beglückt auf – »Oh, der Herr Leutnant!« – er schluckte, trat vor Erregung von einem Fuß auf den andern und sah zwischendurch verstohlen empor – ich kann es nicht anders sagen – wie man aufblickt in der Kirche zu einem Heiligenbild. »Bitte kommen Herr Leutnant gleich hinüber in den Salon! Fräulein Edith erwarten Herrn Leutnant schon die ganze Zeit«, flüsterte er im aufgeregten Ton einer verschämten Begeisterung.
    Ich fragte und staunte: warum sieht dieser fremde Mensch, dieser alte Lakai mich so ekstatisch an? Warumliebt er mich so? Macht es wirklich die Menschen schon gut und glücklich, wenn sie bei andern Güte und Mitleid sehen? Ja, dann behielte Condor recht, dann hätte wirklich, wer auch nur einem einzigen Menschen hilft, den Sinn seines Lebens erfüllt, dann lohnte es wahrhaftig, andern sich hinzugeben bis ans Ende seiner Kraft und sogar über seine Kraft. Dann wäre jedes Opfer gerecht und selbst eine Lüge, die andere glücklich macht, wichtiger als alle Wahrheit. Mit einmal spürte ich meinen Fuß sicher bis zur Sohle hinab; anders schreitet der Mensch, wenn er weiß, daß er Freude mit sich bringt.
    Aber da kam schon Ilona mir entgegen, strahlend auch sie; gleichsam mit dunkel-zärtlichen Armen umfing mich ihr Blick. Noch nie hatte sie mir so warm, so innig die Hand gedrückt. »Ich danke Ihnen«, sagte sie, und es klang, als spräche sie durch einen warmen feuchten Sommerregen. »Sie wissen ja selbst nicht, was Sie für das Kind getan haben. Sie haben sie gerettet, bei Gott, wirklich gerettet! Kommen Sie nur rasch, ich kann Ihnen gar nicht schildern, wie sehr sie auf Sie wartet.«
    Unterdessen rührte sich leise die andere Tür. Ich hatte das Gefühl, jemand habe lauschend hinter ihr gestanden. Der alte Mann kam herein, und nicht wie gestern war mehr der Tod und das Grauen in seinen Augen, sondern ein zärtliches Strahlen. »Wie gut, daß Sie da sind. Sie werden staunen, wie sie verwandelt ist. Nie habe ich sie in all den Jahren seit dem Unglück so heiter, so glücklich gesehen. Es ist ein Wunder, ein wirkliches Wunder! O Gott, was haben Sie für sie, was haben Sie für uns getan!«
    Es übermannte ihn mitten im Wort. Er schluckte und schluchzte und schämte sich zugleich seiner Rührung, die mich allmählich selber ergriff. Denn wer könnte fühllos solcher Dankbarkeit widerstehen? Ich hoffe, nie ein eitler Mensch gewesen zu sein, nie einer, der sich selbst bewunderte oder überschätzte, und glaube auch heute weder anmeine Güte noch an meine Kraft. Aber von dieser wilden und dankbaren Begeisterung der andern strömte eine heiße Welle von Zuversicht unwiderstehlich in mich über. Weggetragen wie von goldenem Wind war mit einmal alle Furcht, alle Feigheit. Warum sollte ich mich nicht sorglos lieben lassen, wenn es die andern so glücklich machte? Geradezu ungeduldig wurde ich schon, hinüberzugehen in den Raum, den ich vorgestern so verzweifelt verlassen.
    Und siehe, da saß ein Mädchen im Lehnstuhl, das ich kaum erkannte, so heiter blickte sie und solche Helligkeit ging von ihr aus. Sie trug ein zartblaues seidenes Kleid, das sie noch mädchenhafter, noch kindlicher erscheinen ließ. Im rötlichen Haar glänzten – waren es Myrten? – weiße Blüten, und um den Lehnstuhl gereiht standen wer hatte sie ihr geschenkt? – Blumenkörbe, ein bunter Hain. Sie mußte längst gewußt haben, daß ich im Hause war; zweifellos hatte die Wartende das heitere Begrüßen vernommen und meinen nahenden Schritt. Aber vollkommen fehlte diesmal jener nervös prüfende, überwachende Blick, der sich sonst immer bei meinem Eintreten aus halb gedeckten Lidern mißtrauisch auf mich richtete. Leicht und aufrecht saß sie in ihrem Lehnstuhl; völlig vergaß ich diesmal, daß die Decke ein Gebrest verhüllte und der tiefe Fauteuil eigentlich ihr Kerker war, denn ich staunte nur über dies neue Mädchenwesen, das kindlicher in seiner Freude, fraulicher in seiner Schönheit schien. Sie

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