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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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natürlich ... dann wäre ich doch ... doch selbst zu Ihnen gekommen.«
    Er starrte mich an. Ein Zittern ging durch seinenKörper; es war, als ob eine innere Kraft ihn unmerklich heranschöbe.
    »Darf ich ... darf ich ihr das sagen?«
    Wieder spürte ich das Gefährliche. Aber ich hatte nicht mehr die Kraft, seinem flehenden Blick zu widerstehen. So erwiderte ich in festem Ton:
    »Ja, sagen Sie es ihr«, und reichte ihm die Hand.
    Seine Augen funkelten, sie füllten sich, sie strömten mir entgegen. So muß Lazarus geblickt haben, als er betäubt emporstieg aus seinem Grabe und wieder den Himmel sah und sein heiliges Licht. Ich spürte seine Hand in der meinen zittern, immer stärker zittern. Dann begann sich die Stirn niederzubeugen, tiefer und tiefer. Rechtzeitig noch erinnerte ich mich, wie er sich damals niedergebückt und mir die Hand geküßt hatte. Hastig riß ich die meine zurück und wiederholte:
    »Ja, sagen Sie es ihr, bitte sagen Sie es ihr: sie soll ohne Sorge sein. Und eines vor allem: gesund werden, bald gesund, für sich, für uns alle!«
    »Ja«, wiederholte er ekstatisch, »gesund, bald gesund. Sofort wird sie jetzt reisen, oh, ich bin ganz sicher. Sofort wird sie abreisen und gesund werden, durch Sie gesund, für Sie gesund ... von der ersten Stunde an habe ich gewußt, Gott hat Sie mir geschickt ... nein, nein, ich kann Ihnen nicht danken ... Gott soll es Ihnen lohnen ... Ich geh schon ... nein, bleiben Sie, bemühen Sie sich nicht, ich geh schon.«
    Und mit einem anderen Schritt, den ich an ihm nicht kannte, einem leichten, federnden Schritt lief er mit seinen wehenden schwarzen Schößen zur Tür. Sie schlug hinter ihm zu mit einem hellen, fast fröhlichen Ton. Ich stand allein im dunkeln Zimmer, leicht bestürzt, wie allemal, wenn man etwas Entscheidendes getan, ohne sich vorher innerlich entschieden zu haben. Aber was ich in der Schwachmütigkeit meines Mitleids eigentlich versprochen,wurde mir erst eine Stunde später in seiner ganzen Verantwortlichkeit bewußt, als mein Bursche, schüchtern anklopfend, mir einen Brief brachte, blaues Papier, wohlbekannten Formats:
    »Wir reisen übermorgen. Ich habe es Papa in die Hand versprochen. Verzeihen Sie mir die letzten Tage, aber ich war ganz verstört von der Angst, ich sei Ihnen eine Last. Nun weiß ich, wozu und für wen ich gesund werden muß. Jetzt fürchte ich nichts mehr. Kommen Sie morgen möglichst früh. Nie habe ich Sie ungeduldiger erwartet. Immer Ihre E.«
    »Immer« – ich fühlte einen jähen Schauer bei diesem Wort, das unwiderruflich und für alle Ewigkeit einen Menschen bindet. Aber nun gab es kein Zurück mehr. Wieder einmal war mein Mitleid stärker gewesen als mein Wille. Ich hatte mich weggegeben. Ich gehörte mir selber nicht mehr.
    Raff dich zusammen, sagte ich mir. Das war das Letzte, was sie dir abringen konnten, dies halbe Versprechen, das sich doch nie ganz erfüllen wird. Einen Tag noch, zwei Tage mußt du dieser unsinnigen Liebe geduldig dich gewähren, dann reisen sie ab, und du hast dich selbst wieder zurückgewonnen. Aber je näher der Nachmittag heranrückte, um so kribbliger wurde mein Unbehagen, immer quälender der Gedanke, mit einer Lüge im Herzen ihren gläubigzärtlichen Blick zu bestehen. Vergebens, daß ich mich bemühte, mit den Kameraden locker zu plaudern, zu deutlich spürte ich das Ticken hinter der Stirnhaut, das Flackern in den Nerven und eine plötzliche Trockenheit im Gaumen, als ob innen ein ersticktes Feuer qualmte und schwelte. Rein instinktiv bestellte ich einen Kognak und stürzte ihn hinab. Es half nichts, die Trockenheit würgte weiter die Kehle. So bestellte ich einenzweiten; erst als ich den dritten verlangte, entdeckte ich den unbewußten Antrieb: ich wollte mir Mut antrinken, um dort draußen nicht feig zu werden oder sentimental. Etwas in mir wollte ich vorher chloroformieren, vielleicht die Furcht, vielleicht die Scham, vielleicht ein sehr gutes, vielleicht ein sehr schlimmes Gefühl. Ja, das war es, nur das – darum teilte man ja Soldaten die doppelte Branntweinration zu vor dem Sturm – ich wollte mich dumpf machen und stumpf, um das Bedenkliche und vielleicht Gefährliche, dem ich entgegenging, nicht so deutlich zu empfinden. Jedoch die erste Wirkung dieser drei Gläser äußerte sich einzig darin, daß mir die Füße schwer wurden und im Kopf etwas surrte und bohrte wie die Maschine eines Zahnarzts, ehe sie ansetzt zum eigentlichen schmerzhaften Stoß. Es war kein sicherer,

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